BFH Beschluss v. - XI R 48/13

Wiedereinsetzung bei versäumter Frist zur Revisionsbegründung (hier: technische Störung an einem Telefaxgerät

Leitsatz

1. Weist das Sendeprotokoll auf Störungen bei der Versendung eines Telefaxschreibens hin, besteht für den Absender konkrete Veranlassung, der Sache nachzugehen und zu prüfen, ob der abgesandte fristwahrende Schriftsatz dem Empfänger leserlich zugegangen ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn die technische Störung am Sendegerät bereits bekannt ist.
2. Jedes Verschulden - also auch eine einfache Fahrlässigkeit - schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit offenbleibt, dass die Fristversäumnis verschuldet war.

Gesetze: FGO § 56 Abs. 1, FGO § 56 Abs. 2, FGO § 120 Abs. 1, FGO § 124 Abs. 1, FGO § 126 Abs. 1

Instanzenzug: ,

Tatbestand

1 I. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) legte gegen das am zugestellte das zur umsatzsteuerrechtlichen Behandlung von ärztlichen Laborleistungen ergangen war, mit Telefaxschreiben vom , beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen am , die vom FG zugelassene Revision ein.

2 Die Frist zur Begründung der Revision wurde vom Vorsitzenden des erkennenden Senats auf Antrag des FA bis zum verlängert.

3 Das FA übermittelte seine Revisionsbegründung vom am gleichen Tag mit Telefaxschreiben an den BFH. Die beim BFH eingegangene Telekopie war unvollständig und ohne Unterschrift; die Seiten 2, 3 und 8 sowie —die letzte Seite mit der Unterschrift— 13 fehlten.

4 Das unterzeichnete und vollständige Original der Revisionsbegründung vom ging (mit normaler Post) beim BFH am ein.

5 Mit Schreiben vom , dem FA zugestellt am , machte die Vertreterin des Vorsitzenden des erkennenden Senats das FA darauf aufmerksam, dass die Revisionsbegründung am nur unvollständig und dem Erfordernis der Schriftlichkeit eines bestimmenden Schriftsatzes nicht genügend ohne Unterschrift dem BFH übermittelt worden sei. Zugleich wurde das FA darüber in Kenntnis gesetzt, dass das (vollständige) Original der unterzeichneten Revisionsbegründung vom erst am , also nach Ablauf der bis zum verlängerten Revisionsbegründungsfrist, beim BFH eingegangen sei. Auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) wurde gleichfalls hingewiesen.

6 Hierauf beantragte das FA mit Schreiben vom , Eingang beim BFH am , Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

7 Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs bringt das FA vor, nach dem Sendebericht des verwendeten Telefaxgeräts vom 14:59 Uhr sei die Sendung von 13 Seiten —was der Anzahl der Seiten der Revisionsbegründungsschrift entsprochen habe— an die Faxnummer . mit „OK“ und dem Hinweis in der nächsten Zeile „Lesbarkeit evtl. beeinträchtigt auf Seite 02, 03, 08, 13“ bestätigt worden. Die —nach § 62 Abs. 4 Satz 4 FGO zur Vertretung des FA vor dem BFH berechtigte— Unterzeichnerin der Revisionsbegründungsschrift habe den Sendebericht abgewartet und kontrolliert; sie sei davon ausgegangen, 13 Seiten vollständig an den BFH übermittelt zu haben, weil hinsichtlich der Übertragung ein „OK“ auf dem Sendebericht abgedruckt gewesen sei. In Bezug auf den weiteren Hinweis im ausgedruckten Sendebericht, dass die Lesbarkeit bestimmter übermittelter Seiten evtl. beeinträchtigt sei, habe sie keine Veranlassung gesehen, die vollständige und ordnungsgemäße Übertragung des Schriftstücks in Frage zu stellen, da in der Vergangenheit trotz eines solchen Hinweises Telefaxschreiben vollständig und ohne Lesebeeinträchtigung übermittelt worden seien.

8 Die Fristversäumnis sei daher unverschuldet. Der Grund für die unvollständige Telefaxübermittlung der Revisionsbegründungs-schrift am sei eine technische Störung des Telefaxgeräts gewesen, dessen Ursache nicht (mehr) zu ermitteln sei. Aus dem Sendebericht habe sich nicht entnehmen lassen, dass, entgegen dem Hinweis auf die evtl. beeinträchtigte Lesbarkeit des übermittelten Telefaxes, die betreffenden Seiten gar nicht übermittelt worden seien.

9 Dem Schreiben vom waren zur Glaubhaftmachung des vom FA vorgebrachten Sachverhalts u.a. Kopien des Sendeberichts vom 14:59 Uhr beigefügt.

Gründe

10 II. Die Revision ist unzulässig und daher durch Beschluss zu verwerfen (§ 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1 FGO).

11 1. Das FA hat die Frist für die Begründung der Revision versäumt.

12 a) Nach § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO ist die Revision innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Frist kann —wie hier— nach § 120 Abs. 2 Satz 3 FGO auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden.

13 b) Diese verlängerte Frist lief im Streitfall am Montag, dem , ab.

14 Die am , dem letzten Tag der Revisionsbegründungsfrist, beim BFH eingegangene Revisionsbegründung des FA vom gleichen Tag war unvollständig. Sie genügte vor allem mangels Unterschrift der Schriftform nach § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht und war daher zur Fristwahrung nicht geeignet (vgl. dazu , BFH/NV 1995, 702; ferner BFH-Beschlüsse vom X B 19/08, Zeitschrift für Steuern und Recht —ZSteu— 2008, R501; vom I R 48/08, ZSteu 2009, R246; vom I B 66/11, BFH/NV 2012, 957, jeweils m.w.N.).

15 Die vollständige und unterschriebene Revisionsbegründung vom ging jedoch erst am Donnerstag, dem , mithin nach Fristablauf, beim BFH ein.

16 2. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 Abs. 1 FGO wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist kann dem FA nicht gewährt werden, denn es lässt sich nicht feststellen, dass es an dem Fristversäumnis unverschuldet verhindert war.

17 a) Wiedereinsetzung ist zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist gehindert war (§ 56 Abs. 1 FGO). Dies setzt in formeller Hinsicht voraus, dass innerhalb einer Frist von einem Monat (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO) nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom XI B 186/02, BFH/NV 2003, 1589; vom II R 16/11, BFH/NV 2012, 593; vom XI R 13/12, BFH/NV 2013, 60, jeweils m.w.N.).

18 b) Nach der Rechtsprechung des BFH gelten die Grundsätze über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für das FA in gleicher Weise wie für einen Steuerpflichtigen (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom VII R 34/94, BFH/NV 1996, 343; vom VII R 10/05, BFHE 210, 227, BStBl II 2005, 880; vom XI R 24/08, BFH/NV 2010, 1834; vom IV R 5/10, BFH/NV 2011, 809; vom VIII R 40/10, BFH/NV 2013, 397, jeweils m.w.N.). Das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters oder Bevollmächtigten steht demnach dem eigenen Verschulden des FA gleich (vgl. , BFH/NV 1993, 6; BFH-Beschluss in BFH/NV 2013, 397, m.w.N.).

19 c) Die vom FA geltend gemachten Gründe für die Wiedereinsetzung in die versäumte Frist schließen sein Verschulden i.S. von § 56 Abs. 1 FGO nicht aus.

20 aa) Jedes Verschulden —also auch eine einfache Fahrlässigkeit— schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom XI B 70/12, BFH/NV 2013, 401; vom XI B 8/14, BFH/NV 2014, 1760). Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit offenbleibt, dass die Fristversäumnis verschuldet war (vgl. dazu BFH-Beschluss in BFH/NV 2014, 1760; , Monatsschrift für Deutsches Recht 2014, 674, Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht 2014, 1252, jeweils m.w.N.).

21 bb) Danach kommt die beantragte Wiedereinsetzung nicht in Betracht.

22 (1) Die Löschung einer Ausschlussfrist aus dem Fristenkontrollbuch erfordert bei der Versendung eines —wie hier die Revisionsbegründungsschrift vom betreffend— fristwahrenden Schriftsatzes mittels Telekopie, dass ein von dem Telefaxgerät des Absenders ausgedruckter Einzelnachweis vorliegt, der die ordnungsgemäße Übermittlung des Schriftstücks belegt (vgl. dazu , BFH/NV 1996, 818).

23 Ein solcher Einzelnachweis liegt hier nicht vor. Denn nach dem eigenen Vorbringen des FA war dem ausgedruckten Sendebericht vom 14:59 Uhr der Hinweis „Lesbarkeit evtl. beeinträchtigt auf Seite 02, 03, 08, 13“ zu entnehmen. Danach konnte von einem Einzelnachweis über die ordnungsgemäße Übermittlung der Revisionsbegründungsschrift vom selbst dann nicht ausgegangen werden, wenn —wie hier— der Sendebericht im Übrigen die Übertragung sämtlicher Seiten des zu übermittelnden Schreibens vermeintlich bestätigt.

24 (2) Nachdem im Sendebericht vom 14:59 Uhr darauf hingewiesen worden war, dass die Lesbarkeit der vom FA übermittelten Revisionsbegründungsschrift, insbesondere auch die der letzten Seite mit der Unterschrift, evtl. beeinträchtigt ist, bestand konkrete Veranlassung, der Sache nachzugehen und zu prüfen, ob der abgesandte fristwahrende Schriftsatz dem BFH leserlich zugegangen war. Das FA hätte, was am Montag, dem , um 14:59 Uhr möglich und zumutbar gewesen wäre, durch entsprechende fernmündliche Rückfrage sich Klarheit darüber verschaffen müssen, ob die Revisionsbegründungsschrift fristwahrend übertragen worden ist, um ggf. hierauf innerhalb der noch nicht abgelaufenen Revisionsbegründungsfrist mit weiteren Übertragungsversuchen oder der Übermittlung von einem anderen Telefaxgerät aus reagieren zu können (vgl. dazu auch , BFH/NV 2004, 1108).

25 (3) Im Streitfall kommt hinzu, dass nach Darstellung des FA die technische Störung am Sendegerät bereits bekannt war. Das FA konnte angesichts dessen nicht (einfach) darauf vertrauen, das fristwahrende Schriftstück werde, wie es in der Vergangenheit trotz der Hinweise auf eine teilweise beeinträchtigte Lesbarkeit der übermittelten Schriftstücke der Fall war, ihren Empfänger, den BFH, schon leserlich erreicht haben. Es ist wie von Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern im Rahmen ihres ordnungsmäßigen Bürobetriebs auch von der Finanzverwaltung zu erwarten, dass sie bei einer bereits bekannten Störung eines Sendegeräts in ihrer Verantwortungssphäre beizeiten von sich aus tätig wird, um die vollständige und ordnungsgemäße Übertragung eines fristwahrenden Schriftstücks sicherzustellen (vgl. dazu auch BFH-Beschluss in BFH/NV 2004, 1108). Das ist hier nicht geschehen.

26 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BFH/NV 2015 S. 1263 Nr. 9
HFR 2015 S. 872 Nr. 9
AAAAE-94251