BGH Beschluss v. - 4 StR 562/13

Schwerer sexueller Kindesmissbrauch: "Eigenhändiger" Körperkontakt zum Kind

Gesetze: § 176 Abs 1 StGB, § 176a Abs 2 Nr 1 StGB, § 177 Abs 2 S 2 Nr 1 StGB

Instanzenzug: Az: 31 KLs 65/12

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in vier Fällen, versuchten schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes, sexuellen Missbrauchs eines Kindes und Besitzes kinderpornografischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und drei Monaten und die nicht revidierende Mitangeklagte I.   wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in vier Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen, versuchten schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes und mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Ferner hat es unter anderem die Einziehung der „bei den Angeklagten sichergestellten Laptops mit zugehörigen Ladekabeln, der bei den Angeklagten sichergestellten Kameras" und der bei dem Angeklagten S.    sichergestellten Mappe mit CDs und DVDs angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat den aus der Urteilsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

21. Die Verurteilung des Angeklagten im Fall der Urteilsgründe wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften kann nicht bestehen bleiben, weil das Landgericht für die Entscheidung sachlich nicht zuständig war.

3Das das beim Amtsgericht - Strafrichter - Bochum rechtshängige Verfahren gegen den Angeklagten wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften übernommen und zu dem bei ihm bereits rechtshängigen Verfahren wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und anderem hinzuverbunden. Dieser Beschluss ist unwirksam, weil die Verbindung neben der örtlichen auch die sachliche Zuständigkeit betraf und deshalb nur durch das Oberlandesgericht Hamm als dem gemeinschaftlichen oberen Gericht (§ 4 Abs. 2 StPO) angeordnet werden konnte (vgl. , wistra 2013, 321; Urteil vom - 3 StR 458/05, Rn. 2; Urteil vom - 4 StR 335/68, BGHSt 22, 232, 234 f.). Da die Prozessvoraussetzung der sachlichen Zuständigkeit vom Revisionsgericht nach § 6 StPO von Amts wegen zu beachten ist und eine Nachholung der Verbindungsentscheidung durch den Senat nicht erfolgen konnte (vgl. , NStZ-RR 2002, 257, bei Becker), war das Verfahren wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften in entsprechender Anwendung des § 355 StPO an das Amtsgericht Bochum zurückzugeben (vgl. , Rn. 6).

42. Die auf § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB gestützte Verurteilung des Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in den Fällen II.2 zu 1 und II.2 zu 2 der Urteilsgründe begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

5a) Nach den Feststellungen führte die Mitangeklagte I.   am gegen 10.00 Uhr in einem Zeitraum von 20 Minuten „gemäß einem gemeinsamen Tatplan auf Initiative des Angeklagten" zwei verschieden große Vibratoren abwechselnd mehrfach über teils kürzere, teils längere Zeiträume in den Anus und die Vagina ihrer zu diesem Zeitpunkt drei Jahre alten Tochter         ein. Das Geschehen wurde von dem Angeklagten zur eigenen sexuellen Befriedigung mit seiner Digitalkamera gefilmt. Zwischenzeitlich forderte er die Mitangeklagte I.   auf, das Gleitgel zu erneuern. Kurz bevor der Angeklagte die Videoaufzeichnung abbrach, äußerte er gegenüber der Mitangeklagten I.   , „es sei ja auch am Abend noch Zeit" (Fall II.2 zu 1 der Urteilsgründe). Gegen Abend desselben Tages wiederholte sich dieses Geschehen in einem in etwa entsprechenden Zeitraum, wobei der Angeklagte hiervon nunmehr Fotos fertigte (Fall II.2 zu 2 der Urteilsgründe).

6b) Diese Feststellungen belegen nicht, dass sich der Angeklagte jeweils eines schweren sexuellen Missbrauchs gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB schuldig gemacht hat.

7Der Tatbestand des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB ist hinsichtlich der Beschreibung der sexuellen Handlung § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB nachgebildet (vgl. BT-Drucks. 13/8587 S. 31 f.) und stellt eine Qualifikation gegenüber § 176 Abs. 1 und 2 StGB dar. Als Täter nach § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB kann daher nur bestraft werden, wer entweder selbst („eigenhändig") entsprechend § 176 Abs. 1 StGB Körperkontakt zu dem Kind aufnimmt (, NStZ-RR 1999, 321, 322, bei Pfister; Urteil vom - 1 StR 236/95, BGHSt 41, 242, 243) und dabei mit ihm den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an ihm vornimmt oder an sich von ihm vornehmen lässt, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Hörnle in: LK-StGB, 12. Aufl., § 176a Rn. 45; vgl. , NStZ-RR 2012, 45; Urteil vom - 4 StR 3/99, BGHR StGB § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Mittäter 1, jeweils zu § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB) oder wer entsprechend § 176 Abs. 2 StGB das Kind dazu bestimmt, eine der genannten Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von diesem an sich vornehmen zu lassen (vgl. , NStZ 2005, 152, 153; Hörnle in: LK-StGB, 12. Aufl., § 176a Rn. 46). Nach den Feststellungen hat nur die Mitangeklagte I.   an dem Tatopfer eine mit dem Eindringen in dessen Körper verbundene sexuelle Handlung (Einführen der Vibratoren) vorgenommen. Dass der Angeklagte auf die Geschädigte eingewirkt hat, damit sie die Missbrauchshandlungen der Mitangeklagten I.   an sich vornehmen lässt, kann den Feststellungen ebenfalls nicht entnommen werden.

8c) Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen, die hierzu nicht in Widerspruch stehen, sind möglich. Dabei wird der neue Tatrichter auch zu prüfen haben, ob sich der Angeklagte einer Anstiftung oder einer Beihilfe zum schweren sexuellen Missbrauch gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1, §§ 26, 27 StGB schuldig gemacht hat.

93. Die Aufhebung der Schuldsprüche in den Fällen II.1 und II.2 zu 1 und 2 zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich.

104. Die ohne jede nähere Erläuterung aus § 74 StGB hergeleitete Entscheidung über die Einziehung der bei „den Angeklagten sichergestellten Laptops mit Ladekabeln und der „bei den Angeklagten sichergestellten Kameras" hat schon deshalb keinen Bestand, weil weder die Urteilsformel noch die Urteilsgründe eine hinreichende Bezeichnung der betroffenen Gegenstände enthalten und deshalb weder für die Vollstreckungsbehörde, noch für die Beteiligten Klarheit über den Umfang der Einziehung besteht (vgl. dazu , wistra 2007, 427 f.; Urteil vom - 1 StR 179/93, Rn. 40, insoweit in BGHSt 40, 97 und NStZ 1994, 390 nicht abgedruckt). Da dieser Rechtsfehler auch die Mitangeklagte I.   betrifft, war die Aufhebung insoweit auf sie zu erstrecken (§ 357 Satz 1 StPO).

11Sofern sich die Einziehung auch auf den bei dem Angeklagten im Fall II.1 der Urteilsgründe sichergestellten Laptop und die im Fall II.2 zu 1 verwendete Digitalkamera bezieht, wird ihr auch durch die insoweit erfolgte Aufhebung des Schuldspruchs die Grundlage entzogen. Gleiches gilt für die im Fall II.1 sichergestellten 18 CDs/DVDs.

12Im Fall einer erneuten Verurteilung des Angeklagten wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften gemäß § 184b Abs. 4 StGB wird zu beachten sein, dass nur die verwendeten Speichermedien als Beziehungsgegenstände nach § 184b Abs. 6 Satz 2 StGB zwingend einzuziehen sind, während der für Lade- und Speichervorgang verwendete Computer nebst Zubehör als Tatwerkzeug lediglich der fakultativen Einziehung nach § 74 Abs. 1 2. Alt. i.V.m. § 184b Abs. 6 Satz 3 StGB unterliegt. In beiden Fällen ist im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu prüfen, ob gemäß § 74b Abs. 2 StGB die Einziehung zunächst vorbehalten bleibt und weniger einschneidende Maßnahmen zu treffen sind, wenn auch auf diese Weise der Einziehungszweck erreicht werden kann (, Rn. 21; Beschluss vom - 4 StR 657/11, NStZ 2012, 319; Beschluss vom - 4 StR 612/11, Rn. 5; Beschluss vom - 2 StR 501/08, BGHSt 53, 69 Rn. 3). Dies könnte hier durch eine endgültige Löschung der inkriminierten Bilddateien geschehen (vgl. , Rn. 3).

Mutzbauer                        Cierniak                             Franke

                     Bender                           Quentin

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
CAAAE-61729