BGH Beschluss v. - 5 StR 386/13

Sexualdelikte: Konkurrenzverhältnis zwischen sexuellem Mißbrauch von Schutzbefohlenen und sexuellem Mißbrauch von Jugendlichen unter Ausnutzung einer Zwangslage

Gesetze: § 174 Abs 1 Nr 2 StGB, § 182 Abs 1 Nr 1 StGB

Instanzenzug: LG Dresden Az: 613 Js 27342/08 - 2 KLs

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Schutzbefohlenen in vier Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Jugendlichen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Von dem Vorwurf weiterer Missbrauchstaten, unter anderem den Nebenkläger M.   betreffend, hat ihn das Landgericht aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.

2Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt lediglich zu einer Änderung des Schuldspruchs; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Nebenklägers M.   ist gemäß § 349 Abs. 2 StPO offensichtlich unbegründet.

31. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte Einzelvormund des am geborenen   B.   , der keinen Kontakt zu seinen leiblichen Eltern hatte. Er übte für den Jungen bis zu dessen Volljährigkeit die elterliche Sorge aus und verkörperte für ihn eine Vaterfigur, die sich um ihn kümmerte, der er vertraute und sich emotional stark verbunden fühlte. Der Angeklagte war sich seiner Stellung bewusst und nutzte die „innere Abhängigkeit des Jungen von ihm und seine damit verbundene Macht über seinen Schutzbefohlenen“ (UA S. 4) viermal bewusst für sexuelle Handlungen an dem im Tatzeitraum 16 bzw. 17-jährigen Jungen aus. Das Landgericht sah durch die sexuellen Handlungen jeweils neben dem Tatbestand des sexuellen Missbrauchs eines Schutzbefohlenen (§ 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB – Missbrauch von Abhängigkeit) jeweils den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs eines Jugendlichen in der Variante des Ausnutzens einer Zwangslage (§ 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB) als verwirklicht an, weil der Angeklagte „eine (emotionale) Zwangslage für den ansonsten völlig auf sich gestellten Jungen geschaffen und diese schließlich für den sexuellen Missbrauch ausgenutzt“ habe (UA S. 16 f.).

42. Die Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs eines Jugendlichen hat keinen Bestand. Für die zweite Tat gilt dies schon deswegen, weil sie nicht ausschließbar vor Erhöhung der Schutzaltersgrenze auf 18 Jahre in der bis zum gültigen Fassung des § 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB begangen wurde. Ansonsten kann im Ergebnis offen bleiben, ob die „Lebenssituation“ des   B.   , der über keinerlei elterlichen oder sonstigen Schutz verfügte“ (UA S. 17), eine ernste persönliche oder wirtschaftliche Bedrängnis und damit eine „Zwangslage“ begründen könnte (zum Begriff der Zwangslage: BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 40/97, BGHSt 42, 399; vom – 5 StR 589/07, NStZ-RR 2008, 238; vgl. auch Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 12/4584, S. 8). Denn einer Ausnutzung der Abhängigkeits- und Vertrauensstellung als Vormund kommt vorliegend – ohne Hinzutreten weiterer bedrängender Umstände – kein nicht schon von § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfasster Unrechtsgehalt zu.

5Beide Tatbestände schützen die sexuelle Selbstbestimmung Minderjähriger (vgl. , BGHSt 42, 51, 53; Beschlüsse vom – 4 StR 40/97, aaO, S. 400, und vom – 2 StR 213/00, BGHSt 46, 85, 87; LK-Hörnle, StGB, 12. Aufl., § 174 Rn. 2 und § 182 Rn. 1). Ein Minderjähriger kann weder bei Ausnutzung einer Zwangslage noch bei Missbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses nach § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB wirksam in sexuelle Handlungen einwilligen. Begründet aber gerade das Abhängigkeitsverhältnis eine Zwangslage, so wird der Unrechtsgehalt des § 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB von § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB erschöpfend erfasst; demgemäß tritt § 182 Abs. 1 StGB im Wege der Gesetzeskonkurrenz hinter diesen zurück.

63. Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab. Der Strafausspruch wird hierdurch nicht berührt. Das Landgericht hat dem § 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB in der Strafzumessung keine Bedeutung beigemessen. Angesichts der verhängten Einzelstrafen kann der Senat ausschließen, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Würdigung niedrigere Strafen verhängt hätte.

Basdorf                       Dölp                        König

                 Berger                      Bellay

Fundstelle(n):
WAAAE-49549