BGH Urteil v. - IX ZR 35/11

Anspruch des Gläubigers auf Verzugszinsen bei Zurückweisung eines Zahlungsangebots zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus einem noch nicht rechtskräftigen Berufungsurteil

Leitsatz

Ein Gläubiger, der ein nicht rechtskräftiges Berufungsurteil erwirkt hat, aus dem er nicht vollstreckt, hat weiterhin Anspruch auf Verzugszinsen, wenn er die ihm zur Abwendung der Zwangsvollstreckung angebotene Zahlung des Schuldners zurückweist.

Gesetze: § 226 BGB, § 242 BGB, § 289 BGB, § 293 BGB, § 301 BGB, § 717 Abs 3 ZPO

Instanzenzug: Az: 17 U 151/09vorgehend Az: 2 O 183/09

Tatbestand

1Der Beklagte ist Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der K.                                               GmbH & Co. KG (fortan: Schuldnerin). In einem Vorprozess erstritt er am ein Berufungsurteil gegen die jetzige Klägerin, nach welchem diese 9.979.906,23 € nebst 5 v.H. Zinsen im Zeitraum vom bis zum sowie Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem an ihn zu zahlen hatte. Mit Schreiben vom forderte der Beklagte die Klägerin auf, den ausgeurteilten Betrag nebst von ihm bis zum auf 4.852.929 € berechneter Zinsen zu bezahlen. Auf Anfrage der Klägerin, die zwischenzeitlich Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil vom eingelegt hatte, erklärte er, dass er bis auf weiteres nicht beabsichtige, die Zwangsvollstreckung zu betreiben. Dennoch bezahlte die Klägerin am auf die Hauptforderung und die Zinsen 14.909.266,88 €, nachdem sie zuvor mitgeteilt hatte, dass die Zahlung lediglich zur Abwendung der Zwangsvollstreckung erfolge und deshalb nicht als Erfüllung der vom Beklagten behaupteten Ansprüche betrachtet werden könne. Aufgrund dieses Vorbehalts verweigerte der Beklagte die Annahme des überwiesenen Betrags und veranlasste dessen sofortige Rücküberweisung. Durch wurde die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin zurückgewiesen. Am zahlte die Klägerin an den Beklagten die Hauptforderung und die titulierten Zinsen bis zum .

2Mit Anwaltsschreiben vom forderte der Beklagte die Klägerin unter Androhung der Zwangsvollstreckung zur Zahlung der seiner Ansicht nach im Zeitraum vom bis zum angefallenen Zinsen auf. Die Klägerin hat daraufhin Vollstreckungsgegenklage erhoben. Sie hat beantragt, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil vom für unzulässig zu erklären und den Beklagten zur Herausgabe der ihm erteilten vollstreckbaren Ausfertigung dieses Urteils zu verurteilen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hin ist der Beklagte antragsgemäß verurteilt worden. Mit seiner vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision will der Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erreichen.

Gründe

3Die Revision führt zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

I.

4Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Klägerin habe den im Urteil vom titulierten Anspruch vollständig erfüllt. Über den hinaus stünden dem Beklagten keine Verzugszinsen zu. Zwar komme der Zahlung vom keine Erfüllungswirkung zu. Erfüllt worden sei die Hauptforderung erst durch die Zahlung vom . Nach der Zahlung vom habe sich die Klägerin jedoch nicht mehr im Verzug befunden. Der Beklagte sei durch die Zurückweisung der Zahlung vom in Annahmeverzug geraten. Die unter Vorbehalt geleistete Zahlung entspreche in ihrer Wirkung letztlich einer Hinterlegung, zu welcher die Klägerin gemäß §§ 711, 108 ZPO ebenfalls berechtigt gewesen sei. Die Bestimmung des § 378 BGB, nach welcher die Ansprüche des Gläubigers mit dem Verzicht des Schuldners auf eine Rücknahme der hinterlegten Sache rückwirkend als erfüllt gälten, könne auf einen zur Sicherheitsleistung hinterlegten Geldbetrag entsprechend angewandt werden. Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen zwischen den prozessualen Befugnissen und den materiellrechtlichen Pflichten der Klägerin sei es geboten, das unter prozessual unvermeidbaren Vorbehalten stehende Zahlungsangebot ausreichen zu lassen, um die Wirkungen des § 293 BGB herbeizuführen. Das Interesse des Beklagten, die hohen Verzugszinsen zu erhalten, sei nicht höher zu bewerten als das Interesse der Klägerin, sich von der Verpflichtung zur Zahlung der Verzugszinsen zu befreien. Einer Haftung nach § 717 Abs. 2 ZPO wäre der Beklagte bei einem Erfolg der Nichtzulassungsbeschwerde und der Revision deshalb nicht ausgesetzt gewesen, weil es sich bei dem Urteil vom um ein Berufungsurteil gehandelt habe; eine Haftung nach § 717 Abs. 3 ZPO sei nicht in Betracht gekommen, nachdem der Beklagte ausdrücklich erklärt habe, nicht vollstrecken zu wollen.

II.

5Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil vom ist nicht unzulässig geworden, weil die titulierte Zinsforderung bisher nicht vollständig erfüllt worden ist; die Klägerin schuldete Verzugszinsen bis zur Zahlung am . Aus diesem Grund besteht auch kein Anspruch auf Rückgabe der vollstreckbaren Ausfertigung dieses Urteils.

61. Die Zahlung am hat schon deshalb nicht zu einer Erfüllung der titulierten Forderung geführt, weil der Beklagte sie nicht angenommen hat.

72. Durch die Ablehnung der angebotenen Zahlung ist der Beklagte nicht in Annahmeverzug geraten, der jegliche Verzinsung ausgeschlossen hätte (§ 301 BGB). Der Gläubiger kommt dann in Verzug, wenn er die ihm angebotene Leistung nicht annimmt (§ 293 BGB). Die Leistung muss dem Gläubiger so, wie sie zu bewirken ist, tatsächlich angeboten werden (§ 294 BGB). Das ist hier nicht geschehen. Zahlungen aufgrund eines vorläufig vollstreckbaren Urteils sind in der Regel dahin zu verstehen, dass sie nur eine vorläufige Leistung darstellen sollen und unter der aufschiebenden Bedingung der rechtskräftigen Bestätigung der zugrunde liegenden Verbindlichkeit erfolgen (, WM 1976, 1069; Urteil vom - VIII ZR 315/81, BGHZ 86, 267, 269). Im Streitfall hat die Klägerin einen entsprechenden Vorbehalt sogar ausdrücklich erklärt. Die unter einer solchen Bedingung stehende Zahlung stellte nicht die von der Klägerin geschuldete Leistung dar. Eine Leistung unter dem Vorbehalt der Rückforderung hat keine Erfüllungswirkung (§ 362 BGB). Der Gläubiger muss also damit rechnen, dass er das Geleistete zurückgewähren muss; er kann nicht nach seinem Belieben mit dem Gegenstand der Leistung verfahren.

83. Die Ablehnung der angebotenen Zahlung verstieß nicht gegen das Schikaneverbot (§ 226 BGB) oder gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB).

9a) Die Ausübung eines Rechts ist nach § 226 BGB unzulässig, wenn sie nur den Zweck haben kann, einem anderen Schaden zuzufügen; jeder andere Zweck muss ausgeschlossen sein (RGZ 68, 424, 425; 98, 15, 17). Ein berechtigtes Interesse an der Zurückweisung der so nicht geschuldeten Leistung folgt hier bereits daraus, dass der Beklagte den gezahlten Betrag, hätte er ihn angenommen, im Falle der Aufhebung des Urteils vom hätte zurückgewähren müssen. Gemäß § 717 Abs. 3 Satz 4 ZPO, § 818 Abs. 4 BGB hätte er sich nicht auf einen Wegfall der Bereicherung berufen können. Die Annahme der Leistung hätte ihm damit ein Risiko auferlegt, das er bei Ablehnung der Leistung nicht zu tragen hatte. Schon damit steht fest, dass die Ablehnung der Leistung nicht ausschließlich der Schädigung der Klägerin diente.

10b) Eine Rechtsausübung ist unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 226 BGB missbräuchlich, wenn sie beachtliche Interessen eines anderen verletzt, ihr aber kein schutzwürdiges Eigeninteresse zugrunde liegt (, WM 1994, 623, 625 mwN). Diese Voraussetzungen sind gleichfalls nicht erfüllt.

11aa) Die Beklagte wollte mit der Vorbehaltsleistung erreichen, dass sie keine Verzugszinsen mehr zu zahlen hatte. Obwohl die Leistung unter Vorbehalt keine Erfüllung der titulierten Forderung bewirkt und nicht die geschuldete Leistung darstellt, hat der Bundesgerichtshof dieses Interesse in früheren Entscheidungen nicht von vornherein für unbeachtlich gehalten. Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung ( IVa ZR 104/80, NJW 1981, 2244; vom - VII ZR 163/81, WM 1983, 21; vom - VI ZR 232/82, VersR 1984, 868; vom - III ZR 15/88, BGHR GG vor Art. 1/enteignungsgleicher Eingriff Verzögerungsschaden 1; BAGE 126, 198 Rn. 16; offen gelassen allerdings von , ZZP 102, 366, 367 f), die in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung (OLG Karlsruhe VersR 1992, 370) und in der Literatur (MünchKomm-BGB/Ernst, 5. Aufl., § 286 Rn. 94, § 288 Rn. 17; Staudinger/Löwisch/Feldmann, BGB, 2009, § 286 Rn. 120; Erman/Hager, BGB, 13. Aufl., § 286 Rn. 73; kritisch etwa Braun, AcP 184 [1984], 152, 161 ff; Krüger, NJW 1990, 1208, 1211; Kerwer, Die Erfüllung in der Zwangsvollstreckung [1996], S. 163 ff; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, 12. Aufl., § 14 Rn. 71) überwiegend Zustimmung gefunden hat, vermag eine Leistung des Schuldners, die zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren Urteil erfolgt, den Verzug des Schuldners zu beenden, obwohl sie keine Erfüllung bewirkt. Grund dafür ist, dass auch eine im Wege der Zwangsvollstreckung aus einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteil beigetriebene Leistung die Beendigung des Schuldnerverzuges zur Folge hat. Die Zahlung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung soll die nämlichen Folgen nach sich ziehen.

12bb) Diesem Interesse stehen jedoch schutzwürdige eigene Interessen des Gläubigers (des Beklagten) entgegen. Der Gläubiger hat Anspruch auf die geschuldete Leistung, nicht nur auf eine Leistung unter dem Vorbehalt der Rückzahlung. Mit der Annahme der Vorbehaltsleistung verliert der Gläubiger seinen Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen, obgleich nicht sicher ist, dass er die Leistung letztlich behalten darf. Bei einer Abänderung oder Aufhebung des Titels kann er nach Maßgabe des § 717 Abs. 3 ZPO zur Erstattung des Geleisteten nebst Zinsen in gesetzlicher Höhe ab dem Empfang der Leistung verpflichtet sein, ohne sich auf einen Wegfall der Bereicherung berufen zu können. Ob die Voraussetzungen dieser Norm im konkreten Fall tatsächlich erfüllt gewesen wären, was die Klägerin bezweifelt, ist nicht entscheidend. Bestand auch nur das Risiko einer Inanspruchnahme, diente die Zurückweisung der Vorbehaltszahlung eigenen berechtigten Interessen des Beklagten. Im Übrigen setzt der Erstattungsanspruch aus § 717 Abs. 3 ZPO nach der neueren Rechtsprechung des Senats nicht voraus, dass vor der Zahlung oder Leistung des Titelschuldners die Zwangsvollstreckung angedroht worden war (, NJW 2011, 2518 Rn. 17 ff, zVb in BGHZ 189, 320). Unabhängig hiervon will der Titelschuldner mit der Vorbehaltszahlung regelmäßig so gestellt werden, wie er stünde, wenn die Zahlung durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erzwungen worden wäre ( IVa ZR 104/80, NJW 1981, 2244). Um diese Rechtsfolge abzuwenden, muss dem Titelgläubiger das Recht zugestanden werden, die Annahme der Vorbehaltsleistung abzulehnen. Der Gläubiger kann aus dem vorläufig vollstreckbaren Berufungsurteil vollstrecken, muss es aber nicht. Er kann es ohne Angabe von Gründen bei dem bestehenden Zustand belassen und den Eintritt der Rechtskraft des Berufungsurteils abwarten. Das Recht, die titulierte Leistung erst dann entgegenzunehmen, wenn er diese bedingungslos behalten darf, kann man dem Gläubiger nicht nehmen.

13c) Entgegen der Ansicht der Klägerin hat der Beklagte schließlich nicht gegen das aus § 242 BGB folgende Verbot widersprüchlichen Verhaltens verstoßen, indem er die Vorbehaltsleistung nicht annahm. Der Beklagte hat die Klägerin nicht, wie ihr Prozessbevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat dargelegt hat, durch die Zahlungsaufforderung am in die für sie missliche Situation der fortdauernden Zinspflicht trotz Angebots einer Vorbehaltsleistung gebracht. Er hat die Klägerin zur Erfüllung ihrer Schuld aufgefordert, nicht zu einer Vorbehaltsleistung. Hätte er dies nicht getan und hätte die Klägerin die Vorbehaltsleistung nicht angeboten, hätte sie überdies ebenfalls Verzugszinsen bis zum , dem Zeitpunkt der Erfüllung der Hauptforderung, zahlen müssen. Widersprüchlich wäre die Zurückweisung der Vorbehaltszahlung sicherlich dann gewesen, wenn der Beklagte die Klägerin nicht nur zur Zahlung aufgefordert, sondern zugleich die Zwangsvollstreckung aus dem für vorläufig vollstreckbar erklärten Berufungsurteil angedroht hätte. Dies hat er jedoch nicht getan; er hat ausdrücklich erklärt, nicht vollstrecken zu wollen.

144. Der vom Berufungsgericht beschriebene Widerspruch zwischen den prozessualen Befugnissen und den materiellrechtlichen Pflichten der Klägerin als Titelschuldnerin besteht nicht. Die Klägerin hätte zwar den dem Beklagten angebotenen und von diesem zurückgewiesenen Betrag als prozessuale Sicherheit nach §§ 711, 108 ZPO hinterlegen können. Unter den Voraussetzungen des § 372 BGB wirkt eine Hinterlegung schuldbefreiend, wenn die Rücknahme der hinterlegten Sache ausgeschlossen wird (§§ 378, 376 Abs. 2 Nr. 1 BGB); ist die Rücknahme der hinterlegten Sache nicht ausgeschlossen worden, kann der Schuldner den Gläubiger auf die hinterlegte Sache verweisen und ist der Schuldner nicht verpflichtet, Zinsen zu zahlen oder Ersatz für nicht gezogene Nutzungen zu leisten (§ 379 Abs. 1 und 2 BGB). Die Hinterlegung von Geld als prozessuale Sicherheit (§ 108 Abs. 1 Satz 2 ZPO) ist jedoch von der Hinterlegung als Erfüllungssurrogat (§§ 372 ff BGB) zu unterscheiden. Die Vorschriften der §§ 372 BGB sind nicht, auch nicht entsprechend, anwendbar. Vielmehr galten bis zum die Vorschriften der Hinterlegungsordnung und gelten nunmehr die Vorschriften der Hinterlegungsgesetze der Länder (vgl. Zöller/Herget, ZPO, 29. Aufl., § 108 Rn. 15; Prütting/Gehrlein/K. Schmidt, ZPO, 3. Aufl., § 108 Rn. 7). In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist die Umwandlung der Hinterlegung einer prozessualen Sicherheit in ein Hinterlegungsverhältnis nach §§ 372 ff BGB für möglich gehalten worden (RG JW 1914, 466 Nr. 6; , WM 1983, 1337, 1338). Eine Rückwirkung kommt dieser Umwandlung jedoch nicht zu. Auch dann, wenn die Klägerin am einen Betrag in Höhe der Hauptforderung und der bis dahin angefallenen Zinsen als Sicherheit hinterlegt und nach Rechtskraft des Urteils vom zugunsten des Beklagten auf die Rückgabe dieses Betrages verzichtet hätte, hätte sie bis zum Wirksamwerden dieser Erklärung Verzugszinsen zu zahlen gehabt.

III.

15Das angefochtene Urteil kann folglich keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei der Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Berufung der Klägerin gegen das landgerichtliche Urteil, welches die Klage abgewiesen hatte, wird zurückgewiesen.

Kayser                             Vill                             Lohmann

                  Fischer                          Pape

Fundstelle(n):
NJW 2012 S. 1717 Nr. 24
WM 2012 S. 754 Nr. 16
ZIP 2012 S. 2131 Nr. 43
RAAAE-06660