BGH Urteil v. - IV ZR 70/11

Deckungsklage gegen eine private Unfallversicherung auf Todesfallleistung: Beweislast des Versicherers hinsichtlich der Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen an der unfallbedingten Gesundheitsschädigung

Leitsatz

Der Unfallversicherer hat den Vollbeweis i.S. von § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO dafür zu erbringen, dass Krankheiten oder Gebrechen bei der durch ein Unfallereignis verursachten Gesundheitsschädigung oder deren Folgen (hier dem Tod des Versicherungsnehmers) zu mindestens 25% mitgewirkt haben.

Gesetze: § 8 AUB 1994, Nr 3 AUB 2008, Nr 3 AUB 2010, § 286 Abs 1 S 1 ZPO

Instanzenzug: Saarländisches Az: 5 U 464/08 - 56 Urteilvorgehend Az: 14 O 169/05

Tatbestand

1Die Klägerin begehrt als Bezugsberechtigte von der Beklagten die Todesfallleistung aus einer Unfallzusatzversicherung, die ihr am verstorbener Ehemann in Verbindung mit einer Risikolebensversicherung abgeschlossen hatte.

2Dem Versicherungsvertrag liegen die Bedingungen der Beklagten für die Unfallzusatzversicherung mit Leistung bei Erwerbsunfähigkeit oder Todesfall zugrunde (BB-UZV). Diese bestimmen in § 4:

"Haben zur Herbeiführung des Todes bzw. der Erwerbsunfähigkeit neben dem Unfall Krankheiten oder Gebrechen zu mindestens 25 Prozent mitgewirkt, so vermindert sich unsere Leistung entsprechend dem Anteil der Mitwirkung."

3Am führte der Ehemann der Klägerin in einem Betrieb Elektroarbeiten aus. Die Klägerin behauptet, ihr Ehemann habe während der Montage aus einem Schaltschrank ein Kabel heruntergezogen und sei damit an mindestens eine Phase gelangt, wodurch ein Kurzschluss ausgelöst worden sei. Der dabei erlittene Stromschlag sei Ursache für den Tod ihres Ehemannes gewesen, dessen Gesundheitszustand sich nach dem Stromunfall erheblich verschlechtert habe.

4In einem für die Berufsgenossenschaft erstellten pathologischen Gutachten vom wurden aufgrund einer Obduktion vom eine hochgradig stenosierende Koronararteriosklerose aller drei Herzgefäße als Grundleiden und frische subendokardiale Myocardinfarkte der Hinterwand und der Seitenwand des linken Ventrikels beschrieben; als Todesursache wurde ein protrahiertes Herz-Kreislauf-Versagen bei Koronarinsuffizienz angegeben.

5Die Beklagte lehnte Leistungen aus der Unfallzusatzversicherung ab, weil der Tod des Ehemannes der Klägerin nicht auf einen Unfall, sondern auf die bestehende schwere Herzkrankheit zurückzuführen sei.

6Das Landgericht hat nach Vernehmung verschiedener Zeugen, Einholung mehrerer medizinischer Sachverständigengutachten und mündlicher Anhörung der Sachverständigen der Klage stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung der Todesfallleistung in Höhe von 231.183 € verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht nach ergänzender Beweisaufnahme die Verurteilung dahin geändert, dass es der Klägerin nur die Hälfte der Klageforderung zuerkannt hat. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren restlichen Zahlungsanspruch weiter.

Gründe

7Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

8I. Dieses hat es - ebenso wie das Landgericht - für erwiesen erachtet, dass der Tod des Ehemannes der Klägerin durch einen am erlittenen Stromunfall mitverursacht worden sei. Die Klägerin habe den Vollbeweis dafür erbracht, dass ihr Ehemann am einen Stromschlag erlitten habe, bei dem Strom durch seinen Körper und sein Herz geflossen sei und der zu einer Gesundheitsbeschädigung in Form einer Rhythmusstörung des Herzens geführt habe. Dass diese Gesundheitsbeschädigung den Tod zumindest mitverursacht habe, sei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen.

9Die von der Beklagten geschuldete Todesfallleistung vermindere sich allerdings nach § 4 BB-UZV auf die Hälfte, weil nach der Beweisaufnahme von einer 50%-igen Mitwirkung der Vorerkrankung - einer Koronararteriosklerose aller drei Herzgefäße - am Tod des Versicherungsnehmers auszugehen sei. Die Beweislast für die Mitwirkung anderer Ursachen treffe den Versicherer, wobei das Beweismaß nicht § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO, sondern § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO entnommen werden müsse, weil es ebenso um die Unfallfolgen, also die haftungsausfüllende Kausalität gehe wie bei der vom Versicherungsnehmer zu beweisenden Tatsache, dass der Unfall mitursächlich gewesen sei. Für die tatrichterliche Überzeugungsbildung reiche deshalb eine überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit gegenüber anderen Geschehensabläufen, dass die Vorerkrankung in kausalem Zusammenhang mit der Unfallfolge stehe. Das sei hier anzunehmen.

10Die Feststellungen der Sachverständigen Dr. Ö.    und Prof. Dr. E.     begründeten eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Mitwirkung der Vorerkrankung und führten zu einer 50%-igen Leistungskürzung, denn beide Ursachen seien für den Tod des Ehemannes der Klägerin gleichwertig und nicht hinwegzudenken. Dem stehe nicht entgegen, dass Prof. Dr. E.     keine Verursachungsquoten habe angeben können. Wenn der Versicherungsnehmer nur im Zusammenwirken von Unfall und Vorerkrankung gestorben sei, aber nicht durch eine dieser Ursachen alleine gestorben wäre, und keine sonstigen Anhaltspunkte für eine andere Gewichtung vorlägen, könne nur eine hälftige Quotierung vorgenommen werden.

11II. Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Mitwirkung der Vorerkrankung halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

121. Zugunsten der Klägerin ist die Feststellung des Berufungsgerichts zugrunde zu legen, dass ihr Ehemann am einen Stromschlag erlitt, der zu einer Gesundheitsbeschädigung in Form einer Herzrhythmusstörung führte, die den Tod des Versicherungsnehmers zumindest mitverursachte.

132. Die weitere Feststellung des Berufungsgerichts, die Vorerkrankung des Ehemannes der Klägerin - eine Koronararteriosklerose aller drei Herzgefäße - habe zu 50% an seinem Tod mitgewirkt, beruht auf einem fehlerhaften Ausgangspunkt. Das Berufungsgericht hat das Beweismaß für das Leistungskürzungsrecht des Unfallversicherers bei der Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen verkannt.

14a) Im Ansatz zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Beweislast für die Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen bei dem Unfallversicherer liegt (, juris Rn. 46 m.w.N., die Nichtzulassungsbeschwerde in diesem Parallelverfahren wurde durch Senatsbeschluss vom - IV ZR 156/10 - zurückgewiesen; OLG Koblenz, r+s 2001, 348, 349; OLG Celle VersR 2010, 205, 207 m.w.N.; Leverenz in Bruck/Möller, Versicherungsvertragsgesetz 9. Aufl. § 182 Rn. 19 m.w.N.; Grimm, Unfallversicherung 4. Aufl. § 3 AUB 99 Rn. 7 m.w.N.; Schießl in Halm/Engelbrecht/Krahe, Handbuch des Fachanwalts Versicherungsrecht 4. Aufl. 22. Kap. Rn. 68; Rüffer in HK-VVG 2. Aufl. Ziff. 3 AUB 2008/2010 Rn. 6; Jannsen in Schubach/Jannsen, Private Unfallversicherung Ziff. 3 AUB 2008 Rn. 9 m.w.N.; Kloth, Private Unfallversicherung Kap. J Rn. 11; Götz in Looschelders/Pohlmann, VVG 2. Aufl. § 182 Rn. 6; Knappmann in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 8 AUB 94 Rn. 6; ders. in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. Nr. 3 AUB 2008 Rn. 8; Hormuth in Terbille, Münchener Anwaltshandbuch Versicherungsrecht 2. Aufl. § 24 Rn. 187 m.w.N.; Wussow/Pürckhauer, AUB 6. Aufl. § 8 Rn. 12). Dies war bislang schon einhellige Auffassung und ist nunmehr in § 182 VVG gesetzlich normiert (Amtliche Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Versicherungsvertragsreformgesetz, BT-Drucks. 16/3945 S. 108). Nicht nur nach der Intention des Reformgesetzgebers (aaO), sondern auch nach bislang unangefochtener Ansicht erstreckt sich die Beweislast des Versicherers auf den Nachweis, dass der Mitwirkungsanteil mindestens 25% entspricht ( aaO; r+s 2001 aaO; Leverenz aaO; Grimm aaO; Jannsen aaO; Kloth aaO; Götz aaO; Hormuth aaO). Liegt der Mitwirkungsanteil darunter, so unterbleibt eine Minderung (Kloth aaO).

15b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hält die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur nicht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit i.S. von § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO für ausreichend, um einen Mitwirkungsanteil von mindestens 25% nachzuweisen. Vielmehr wird allgemein sowohl für die Prüfung, ob überhaupt unfallabhängige Faktoren mitgewirkt haben, als auch für die Frage, ob der Mitwirkungsanteil mindestens 25% beträgt, das strenge Beweismaß des § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO angewandt (OLG Düsseldorf r+s 2002, 261, 262; OLG Koblenz r+s 2001 aaO; OLG Frankfurt VersR 1991, 762; Leverenz aaO; Grimm aaO; Jannsen aaO; Götz aaO; Wussow/Pürckhauer aaO; dies voraussetzend auch Rüffer aaO Rn. 5 und 6 m.w.N.). Bleibt unklar, ob der Anteil der Mitwirkung 25% oder mehr beträgt, so kommt eine Leistungskürzung nicht in Betracht ( aaO; Leverenz aaO Rn. 19 m.w.N.; Grimm aaO; Rüffer aaO Rn. 6 m.w.N.; Jannsen aaO m.w.N.; Kloth aaO; Knappmann aaO m.w.N.). Erst wenn dieser Nachweis erbracht ist, obliegt es der freien tatrichterlichen Würdigung, die Höhe des anzurechnenden Mitwirkungsanteils gemäß § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu schätzen (Leverenz aaO Rn. 20 m.w.N.). Demgemäß wurde in den im Berufungsurteil zitierten Entscheidungen (OLG Düsseldorf VersR 1997, 174, 175; VersR 1994, 1218 ff.; OLG Hamm VersR 1982, 946) zunächst festgestellt, dass der Mitwirkungsanteil der jeweiligen Vorerkrankung mehr als 25% betragen habe, und erst bei der Gewichtung im Verhältnis zu dem Unfall eine Schätzung nach § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorgenommen.

16c) Der Senat teilt die herrschende Auffassung, dass der Versicherer für einen Mitwirkungsanteil von mindestens 25% den Vollbeweis gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu erbringen hat. Bei der Prüfung, ob Krankheiten oder Gebrechen bei der durch den Unfall verursachten Gesundheitsschädigung oder deren Folgen zu mindestens 25% mitgewirkt haben, geht es entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht um die Unfallfolgen und damit um die haftungsausfüllende Kausalität wie bei der vom Versicherungsnehmer nach dem Beweismaß des § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu beweisenden Tatsache, dass die unfallbedingte Gesundheitsschädigung für die Invalidität oder den Tod des Versicherten (mit-)ursächlich war (vgl. dazu Senatsurteil vom - IV ZR 205/00, VersR 2001, 1547 unter II 1 m.w.N.). Vielmehr betrifft die Mitursächlichkeit von Vorerkrankungen eine Leistungseinschränkung, für die grundsätzlich der Versicherer die volle Beweislast trägt. Für diesen Beweis genügt nicht eine überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit. Vielmehr muss ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit erreicht werden, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (so auch Grimm aaO m.w.N.).

17d) Das Berufungsgericht wird nunmehr unter Anwendung des Beweismaßes gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO erneut zu prüfen haben, ob die Beklagte den ihr obliegenden Nachweis erbringen kann, dass die Vorerkrankung des Ehemannes der Klägerin zu mindestens 25% an seinem Tod mitgewirkt hat.

Dr. Kessal-Wulf                                  Harsdorf-Gebhardt                                  Dr. Karczewski

                                 Lehmann                                           Dr. Brockmöller

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
NJW 2012 S. 392 Nr. 6
NJW 2012 S. 6 Nr. 4
NWB-Eilnachricht Nr. 5/2012 S. 360
GAAAD-98753