BVerfG Beschluss v. - 1 BvR 2662/06

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: GG Art. 2 Abs. 1; GG Art. 20 Abs. 3

Instanzenzug: LG Hamburg, 310 O 359/87

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft einen zivilgerichtlichen Schadensersatzprozess. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die Zurückweisung ihres Prozesskostenhilfeantrags bezüglich einer Klageerweiterung von bislang 766.937,82 EUR (entspricht 1,5 Mio. DM) auf 3.776.040,83 EUR (entspricht rund 7,4 Mio. DM). Zudem rügt sie die überlange Dauer des Hauptsacheverfahrens.

I.

Die Beschwerdeführerin war Eigentümerin mehrerer Grundstücke mit Kiesvorkommen. Auf den insgesamt rund 244.000 qm großen Gründstücken lasteten Grundschulden in Höhe von insgesamt 800.000 DM. Überdies waren auf einem Teil der Grundstücke Auflassungsvormerkungen zugunsten des den Kiesabbau betreibenden Unternehmers eingetragen. Im Jahr 1986 betrieb dieser aus einer der Grundschulden die Zwangsversteigerung der Grundstücke. Ein Grundstück mit einer Fläche von rund 39.000 qm hatte die Beschwerdeführerin bereits zuvor verkauft. Sie bemühte sich bei der Beklagten des Ausgangsverfahrens, einem Kreditinstitut, um einen Kredit zur Abwendung der Zwangsversteigerung. Zur Diskussion standen zwei Varianten. Nach der "kleinen Lösung" sollte die Beschwerdeführerin Kredit in Höhe der Forderung erhalten, derentwegen die Zwangsversteigerung betrieben wurde, um die Versteigerung einstweilen abzuwenden und so Zeit für den freihändigen Verkauf der Grundstücke zu gewinnen. Nach der "großen Lösung" sollte die Beklagte die Ersteigerung der Grundstücke durch den Sohn der Beschwerdeführerin finanzieren. Dieser sollte die Grundstücke lastenfrei erwerben, um die Kiesvorkommen selbst abzubauen. Am Versteigerungstag teilte der für die Beklagte handelnde örtliche Filialleiter mit, dass kein Kredit gewährt werde. Die Grundstücke wurden daraufhin für rund 680.000 DM versteigert.

Am reichte die Beschwerdeführerin beim Landgericht eine Schadensersatzklage gegen das Kreditinstitut ein. Sie machte einen Schaden in Höhe von zunächst 420.000 DM geltend, weil die Beklagte die feste Zusage, einen Kredit zur Abwendung der Zwangsversteigerung zur Verfügung zu stellen, überraschend nicht eingehalten habe und die Grundstücke daher weit unter Wert verschleudert worden seien. Nachdem das Landgericht die Klage im Jahr 1988 abgewiesen hatte, weil eine Finanzierungszusage der Beklagten nicht nachgewiesen sei, änderte das Oberlandesgericht das erstinstanzliche Urteil durch Grundurteil vom ab und sprach der Beschwerdeführerin dem Grunde nach einen Ersatzanspruch in Höhe von zwei Dritteln des durch die Zwangsversteigerung entstandenen Schadens zu. Zur Feststellung der Schadenshöhe verwies es den Rechtsstreit zurück an das Landgericht. Das Oberlandesgericht war aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Beklagte der Beschwerdeführerin zur Abwendung der Zwangsversteigerung die Gewährung eines Kredits in Höhe der zu befriedigenden Forderung zugesagt hatte.

Nach der Zurückverweisung erklärte der Prozessbevollmächtigte der Beschwerdeführerin im Februar 1991 dem Landgericht gegenüber, dass die Parteien in Vergleichsverhandlungen stünden und bat, daher einstweilen nichts zu veranlassen. Im September 1993 bat die Beschwerdeführerin um Fortführung des Verfahrens und beantragte nun, die Beklagte zur Zahlung eines Schadensersatzes von 280.000 DM zu verurteilen. Im November 1993 kam es im Betragsverfahren vor dem Landgericht zu einer mündlichen Verhandlung. Nachdem die Beschwerdeführerin nach wiederholtem Hinweis des Landgerichts ihren Vortrag hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse an den versteigerten Grundstücken konkretisiert hatte, erließ das Landgericht im November 1994 einen Beweisbeschluss, in dem es die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Bestimmung des Werts der versteigerten Grundstücke im Versteigerungszeitpunkt anordnete. Inzwischen hatte die Beschwerdeführerin die Klage auf 1,5 Mio. DM erhöht und die Beklagte Widerklage erhoben. Wegen Schwierigkeiten bei der Suche nach einem geeigneten Sachverständigen, der zur Übernahme des Gutachtenauftrags bereit war, konnte erst im April 1995 ein Sachverständiger beauftragt werden. Auf dessen Anregung hin änderte das Landgericht im August 1995 den Beweisbeschluss dahin ab, dass zunächst nur die Liegenschaften bewertet werden sollten, ohne mögliche Kiesvorkommen zu berücksichtigen. Im Mai 1996 legte der Sachverständige das Gutachten vor.

Im Juni 1996 teilte das Landgericht mit, aufgrund eines Berichterstatterwechsels seien prozessleitende Anordnungen nicht vor Oktober 1996 zu erwarten. Erst durch Verfügung vom gab das Landgericht dem Sachverständigen auf, ergänzend zu den von der Beschwerdeführerin im Juni 1996 erhobenen Einwänden gegen das Gutachten Stellung zu nehmen. Gleichzeitig kündigte es an, die Einholung eines weiteren Gutachtens zur Bewertung der Kiesvorkommen zu erwägen. Im November 1997 legte der Sachverständige seine ergänzende Stellungnahme vor.

Ein Befangenheitsantrag der Beschwerdeführerin gegen den Sachverständigen blieb erfolglos. Im Januar 1998 teilte das Landgericht mit, wegen Wechsels des Berichterstatters und einer zweimonatigen Vakanz der Richterstelle könne nicht mit einer Terminierung vor Mai gerechnet werden. Bis August wurde das Verfahren nicht gefördert. Ende August 1998 wechselte die Beschwerdeführerin zum wiederholten Mal ihren Prozessbevollmächtigten. Der neue Bevollmächtigte erklärte eine Klageerweiterung auf rund 42 Mio. DM und beantragte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Das Landgericht stellte den Schriftsatz der Gegenseite zu und wies durch Beschluss vom den Prozesskostenhilfeantrag zurück, ging dabei aber erkennbar davon aus, dass der Prozesskostenhilfeantrag sich nur auf die Klageerweiterung über 1,5 Mio. DM hinaus beziehe. Ein Befangenheitsantrag der Beschwerdeführerin gegen den Vorsitzenden der Kammer blieb erfolglos.

Gegen die Ablehnung der Prozesskostenhilfe legte die Beschwerdeführerin sofortige Beschwerde ein. Insbesondere aufgrund zweier Wechsel des Bevollmächtigten, einer Umstellung des Prozesskostenhilfeantrags und zahlreicher weiterer Korrekturen des neuen Antrags sowie wiederholter Fristverlängerungsgesuche der Beschwerdeführerin verzögerte sich das Verfahren erheblich. Mit Beschluss vom wies das Oberlandesgericht die sofortige Beschwerde gegen die Prozesskostenhilfeentscheidung des Landgerichts zurück und stellte fest, das Landgericht habe bislang lediglich Prozesskostenhilfe für die Klageerweiterung abgelehnt. Hierauf beschränke sich auch die Beschwerdeentscheidung.

Beim Landgericht kam es darauf durch die Ankündigung der Beschwerdeführerin, eine Stellungnahme abgeben zu wollen, und wiederholte Fristverlängerungsanträge zu einer weiteren Verzögerung des Verfahrens. Nachdem Ende Oktober 2002 die Stellungnahme noch nicht eingegangen war, erließ das Landgericht eine Hinweisverfügung und regte Vergleichsverhandlungen der Parteien an. Im Januar 2003 wechselte die Beschwerdeführerin erneut ihren Prozessbevollmächtigten. Dieser teilte mit, zunächst nur zur Höhe des Streitwerts vortragen zu wollen, insbesondere dazu, ob die Klageerweiterung auf rund 42 Mio. DM unbedingt erklärt worden war. Die angekündigte Stellungnahme ging im Mai 2003 ein. Nach wiederholten Fristverlängerungen äußerte sich der Bevollmächtigte erst Ende September 2003 zur Sache.

Im November 2003 bewilligte das Landgericht der Beschwerdeführerin für einen Betrag bis zu 1,5 Mio. DM und für die Verteidigung gegen die Widerklage Prozesskostenhilfe. Gleichzeitig wies es darauf hin, dass es zunächst die Klärung der Aktivlegitimation der Beschwerdeführerin beabsichtige und erst danach ein Sachverständigengutachten - zur Bewertung unter Einschluss der Kiesvorkommen - einholen wolle. Ein auf April 2004 anberaumter Termin zur mündlichen Verhandlung musste wegen eines im Ergebnis erfolglosen Befangenheitsantrags der Beschwerdeführerin gegen die Berichterstatterin aufgehoben werden. Im September 2004 kam es zur mündlichen Verhandlung, allerdings auf Bitte der Beschwerdeführerin ohne Zeugenvernehmungen.

Im November 2004 legte die Beschwerdeführerin ein Privatsachverständigengutachten über die Bewertung der Grundstücke unter Berücksichtigung der Kiesvorkommen vor. Der Sachverständige hatte unter der Prämisse eines Kiesabbaus im Eigentümerbetrieb, das heißt ohne Belastung durch Grunderwerbskosten oder Pachtzinsen, einen Grundstückswert von über 5 Mio. EUR ermittelt. Die Beschwerdeführerin erweiterte die Klage hierauf gestützt auf nunmehr 3.776.040,83 EUR. Zugleich beantragte sie für die Klageerweiterung die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

Nachdem das Landgericht im Dezember 2004 erneut einen Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt hatte, wies es mit Beschluss vom den Prozesskostenhilfeantrag zurück, weil die beabsichtigte Klageerweiterung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete. Im selben Beschluss ordnete das Landgericht die Einholung eines Sachverständigengutachtens an zur Bestimmung des Verkehrswerts der Grundstücke einschließlich der Kiesvorkommen im Zeitpunkt der Zwangsversteigerung.

Gegen den Prozesskostenhilfebeschluss erhob die Beschwerdeführerin sofortige Beschwerde, die sie nach wiederholten Fristverlängerungsanträgen mit Schriftsatz vom begründete. Der sofortigen Beschwerde der Beschwerdeführerin half das Landgericht nicht ab.

Das Oberlandesgericht wies die sofortige Beschwerde durch Beschluss vom zurück. Die Ausführungen des Privatsachverständigen ließen nicht den Schluss zu, dass der Beschwerdeführerin möglicherweise ein Schaden in der geltend gemachten Höhe entstanden sein könnte. Das Gericht bleibe bei der Auffassung, dass die Beschwerdeführerin nur einen durchsetzbaren Anspruch auf Durchführung der sogenannten "kleinen Lösung" gehabt habe und dass die Flurstücke, die mit Auflassungsvormerkungen zugunsten des Kiesabbauunternehmers belastet gewesen seien, weitgehend unberücksichtigt bleiben müssten. Aus den im Beschluss aus dem Jahr 2002 genannten Gründen sei nach wie vor nur von einem Quadratmeterpreis von 8 DM für Kiesabbauland auszugehen. In der dortigen Entscheidung hatte das Oberlandesgericht auf verschiedene Wertgutachten Bezug genommen, die im Rahmen des Zwangsversteigerungsverfahrens oder außergerichtlich eingeholt worden waren, sowie auf die Erlöse aus der Veräußerung der streitgegenständlichen Grundstücke vor und nach der Versteigerung. Zudem hatte es darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin in einem Schriftsatz aus dem Jahr 2001 selbst einen Quadratmeterpreis von 8 DM genannt hatte.

Die Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin wies das zurück. Es habe den Vortrag der Beschwerdeführerin berücksichtigt und für nicht durchgreifend erachtet. Ergänzend wies es darauf hin, dass der Verkehrswert entsprechend der Verordnung über Grundsätze für die Ermittlung des Verkehrswerts von Grundstücken zu ermitteln sei und es sich deshalb der Wertberechnung des Privatsachverständigen nicht anzuschließen vermocht habe.

Im Februar 2007 wies das Landgericht darauf hin, dass gerichtliche Handlungen bezüglich eines 1,5 Mio. DM übersteigenden Klagebetrags derzeit nicht erfolgten, weil die Beschwerdeführerin bislang insoweit den Prozesskostenvorschuss noch nicht eingezahlt habe. Durch Beschluss vom fasste das Landgericht den Beweisbeschluss vom teilweise neu und übersandte sodann die Akten an den Sachverständigen zur Erstellung des Verkehrswertgutachtens. Im Juni 2007 trat eine Gläubigerin der Beschwerdeführerin, der ein Teil des streitgegenständlichen Anspruchs abgetreten worden war, dem Rechtsstreit im Wege der Nebenintervention bei. Am legte der Sachverständige sein Gutachten vor und bewertete die Grundstücke mit rund 1,44 Mio. DM. Wiederum beantragte die Beschwerdeführerin mehrfach Fristverlängerung zur Stellungnahme, und zwar bis Anfang Dezember 2007. Unverzüglich nach Eingang der Stellungnahmen der Parteien beraumte das Landgericht Termin zur Erörterung des Gutachtens auf Februar 2008 an. Zur Vorbereitung forderte es den Sachverständigen zur schriftlichen Stellungnahme auf. Der Sachverständige legte im Januar 2008 zwei ergänzende Stellungnahmen vor und korrigierte dabei seine Bewertung nach unten auf nunmehr rund 1,4 Mio. DM. Im Februar 2008 lehnte die Beschwerdeführerin den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Das Landgericht wies das Gesuch im selben Monat zurück. Auf die sofortige Beschwerde hin erklärte das das Befangenheitsgesuch für begründet. Im November 2008 schlug das Landgericht einen neuen Sachverständigen vor und hörte die Parteien hierzu an. Nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin ist der Sachverständige im Mai 2009 noch nicht vom Landgericht mit der Erstellung des Gutachtens beauftragt gewesen.

II.

Die Beschwerdeführerin rügt im Hinblick auf die überlange Verfahrensdauer eine Verletzung ihres Rechts auf Gewährung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG). Das Verfahren dauere in erster Instanz bereits zwei Jahrzehnte. Hierdurch sei sie, die Beschwerdeführerin, schwer in ihren Grundrechten beeinträchtigt, da sie für den Rechtsstreit ihre gesamten Mittel eingesetzt habe. Dies sei umso gravierender, als bereits 1990 rechtskräftig über den Anspruch dem Grunde nach entschieden und, obwohl seitdem nur noch über die Schadenshöhe zu entscheiden sei, noch immer kein brauchbares Sachverständigengutachten zur Bestimmung des Verkehrswerts der Grundstücke eingeholt worden sei. Das Landgericht habe über Jahre hinweg nichts getan, insbesondere stets die Entscheidungen über die Prozesskostenhilfegesuche durch das Oberlandesgericht abgewartet, anstatt parallel dazu das ohnehin notwendige Gutachten einzuholen. Es sei dem Landgericht aufzugeben, unverzüglich ein Gutachten zur Bewertung des gesamten durch die Zwangsversteigerung verlorenen Grundbesitzes einzuholen.

Überdies verletzten die ihren Prozesskostenhilfeantrag aus dem Jahr 2004 zurückweisenden Entscheidungen von Land- und Oberlandesgericht sie in ihrem Grundrecht auf gleichen Zugang zu Gericht (Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG) sowie in ihrem Recht auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Insbesondere hätten sich die Fachgerichte über das Privatgutachten ohne konkrete Begründung hinweggesetzt.

III.

Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg sowie die Beklagte und die Nebenintervenientin des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Akten des Ausgangsverfahrens waren beigezogen. Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg tritt der Verfassungsbeschwerde entgegen. Insbesondere sei eine Verletzung des Grundrechts auf wirkungsvollen Rechtsschutz nicht festzustellen. Die Verfahrensdauer sei im Wesentlichen auf das Prozessverhalten der Beschwerdeführerin sowie die Schwierigkeit des Verfahrens und der Beweiserhebung zurückzuführen.

IV.

1.

Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Rechts auf effektiven Rechtsschutz rügt, nimmt die Kammer die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen insoweit vor (§ 93c BVerfGG): Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind geklärt (vgl. BVerfGE 55, 349 <369> ; 88, 118 <124> ) und die Verfassungsbeschwerde ist insoweit offensichtlich begründet.

a)

Es ist in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass sich aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes für bürgerlichrechtliche Streitigkeiten im materiellen Sinn ableiten lässt (vgl. BVerfGE 82, 126 <155>; 93, 99 <107>) und sich daraus die Verpflichtung der Fachgerichte ergibt, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zu einem Abschluss zu bringen (vgl. BVerfGE 55, 349 <369> ; 60, 253 <269> ; 93, 1 <13> ). Die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens ist aber stets nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles zu bestimmen (vgl. BVerfGE 55, 349 <369> ). Es gibt keine allgemeingültigen Zeitvorgaben; verbindliche Richtlinien können auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht entnommen werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 711/96 -, NJW 1997, S. 2811; EGMR, III. Sektion , Urteil vom - 20027/02 Herbst/Deutschland -, NVwZ 2008, S. 289 <291, Rn. 75>). Die Verfahrensgestaltung obliegt in erster Linie dem mit der Sache befassten Gericht. Sofern der Arbeitsanfall die alsbaldige Bearbeitung und Terminierung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zulässt, muss das Gericht hierfür zwangsläufig eine zeitliche Reihenfolge festlegen (vgl. BVerfGE 55, 349 <369> ). Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Frage, ab wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, sind sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Natur des Verfahrens und die Bedeutung der Sache für die Parteien (vgl. BVerfGE 46, 17 <29> ), die Auswirkungen einer langen Verfahrensdauer für die Beteiligten (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 711/96 -, NJW 1997, S. 2811 <2812> ), die Schwierigkeit der Sachmaterie, das den Beteiligten zuzurechnende Verhalten, insbesondere Verfahrensverzögerungen durch sie sowie die gerichtlich nicht zu beeinflussende Tätigkeit Dritter, vor allem der Sachverständigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215> ). Dagegen kann sich der Staat nicht auf solche Umstände berufen, die in seinem Verantwortungsbereich liegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 901/03 -, [...] <Rn. 10>). Ferner haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215> ).

b)

Daran gemessen begründet die bisherige Dauer des Verfahrens einen Verfassungsverstoß. Es ist nach Abwägung sämtlicher Umstände verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbar, dass der Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens nach über 22 Jahren noch nicht absehbar ist. Seit 1990 steht rechtskräftig fest, dass der Beschwerdeführerin ein Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagte zusteht. Seitdem, also seit nunmehr 19 Jahren, ist allerdings noch keine Entscheidung über die Schadenshöhe ergangen.

aa)

Bei der Frage der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung dieser Verfahrensdauer ist allerdings zu bedenken, dass auch die Bestimmung der Schadensersatzhöhe nicht unerhebliche Probleme aufwirft. Es geht um die Bewertung einer Vielzahl von Grundstücken, wobei die Rechtsverhältnisse unübersichtlich sind, insbesondere unklar ist, welche Belastungen im Zeitpunkt der Zwangsversteigerung bestanden. Auch hat sich gezeigt, dass es schwierig ist, einen geeigneten Sachverständigen für die spezielle Frage der Bewertung von Kiesgrundstücken zu finden. Zusätzlich kompliziert wird der Rechtsstreit durch die mehrfachen Abtretungen und Pfändungen von Teilen des streitgegenständlichen Anspruchs, wiederholte Klageerweiterungen und teilweise Klagerücknahmen sowie wechselnden Tatsachenvortrag seitens der Beschwerdeführerin.

Überdies ist zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin durch eine Vielzahl von Fristverlängerungsanträgen und mehrfache Anwaltswechsel selbst das Verfahren in hohem Maße verzögert hat. Zudem wurde das Verfahren nach dem Grundurteil im Jahre 1990 auf Bitten der Beschwerdeführerin wegen außergerichtlicher Vergleichsverhandlungen bis September 1993 nicht fortgeführt. Auch im Zusammenhang mit einer Klageerweiterung und der zunächst unterbliebenen Einzahlung eines entsprechenden Kostenvorschusses kam es um die Jahreswende 1993/1994 zu Verzögerungen.

Weitere dem Landgericht nicht anzulastende Verzögerungen traten durch die insgesamt vier Befangenheitsanträge der Beschwerdeführerin ein. Allerdings kann auch der Beschwerdeführerin nicht angelastet werden, dass sie von den ihr zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfen Gebrauch macht.

bb)

Gleichwohl sind hier angesichts der außergewöhnlich langen Verfahrensdauer die Grenzen des für einen Prozessbeteiligten unter dem Gesichtspunkt effektiven Rechtsschutzes noch Hinnehmbaren deutlich überschritten, zumal die Pflicht zur nachhaltigen Beschleunigung des Verfahrens durch die Fachgerichte dadurch verstärkt wird, dass die Beschwerdeführerin durch den Rechtsstreit erheblichen finanziellen Lasten ausgesetzt ist und dass sie trotz Zuerkennung von zwei Dritteln des Anspruchs dem Grunde nach auch nach beinahe 19 Jahren noch keinen vollstreckbaren Titel erhalten hat. Die Bemühungen der Fachgerichte um eine Beschleunigung des Verfahrens reichen - unbeschadet der der Beschwerdeführerin selbst zuzurechnenden Verzögerungen - hier angesichts der Gesamtdauer auch in Ansehung aller Schwierigkeiten nicht hin. Im Einzelnen:

(1)

Zu offensichtlichen, justiziell zu verantwortenden Verfahrensverzögerungen ist es im Zusammenhang mit Wechseln in der Besetzung der entscheidenden Kammer gekommen: Ein Jahr lang blieb das Landgericht aufgrund eines Berichterstatterwechsels im Jahr 1996 untätig. Nach Abschluss des Ablehnungsverfahrens gegen den ersten gerichtlich bestellten Sachverständigen im Jahr 1998 blieb das Landgericht erneut mehrere Monate untätig. Schließlich förderte es nach Abschluss des zweiten Prozesskostenhilfebeschwerdeverfahrens durch bei einer Gesamtverfahrensdauer von in diesem Zeitpunkt über 18 Jahren erneut vier Monate lang das Verfahren nicht und versagte dann im Hinblick auf die noch nicht erfolgte Einzahlung eines weiteren Kostenvorschusses für die Klageerweiterung aus dem Jahr 2004 rechtsfehlerhaft die Fortführung des Prozesses. Zu Unrecht berief sich das Landgericht dafür auf § 65 Abs. 1 Satz 3 GKG in der Fassung der Bekanntmachung vom (BGBl I S. 3047), § 71 Abs. 1 und § 72 Nr. 1 GKG in der Fassung der Bekanntmachung vom (BGBl I S. 718). Zwar konnte das Landgericht den Vorschuss weiterhin einfordern; die Förderung des Verfahrens durfte es allerdings nicht mehr von der Zahlung abhängig machen, da es den klageerweiternden Schriftsatz bereits im Jahr 2004 vorbehaltlos zugestellt hatte. Nach allgemeiner Auffassung kann ein Gericht weitere Handlungen nicht mehr von der Vorschusszahlung abhängig machen, wenn es die Klage oder - wie im vorliegenden Fall - die Klageerweiterung zugestellt oder einen Termin bestimmt hat (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl. 2008, § 12 Rn. 10 und 16; Meyer, GKG, 7. Aufl. 2005, § 12 Rn. 8; Zimmermann, in: Binz/Dörndorfer/Petzold/Zimmermann, GKG, 1. Aufl. 2007, § 12 Rn. 10; für die Klageerhebung: BGHZ 62, 174 <176> ).

Zwar waren die Verzögerungen auch durch den angesichts der Dauer des Verfahrens wohl unausweichlichen Wechsel in der Kammerbesetzung verursacht. Doch sind dem Staat auch diejenigen Verzögerungen zuzurechnen, die durch eine anderweitige Organisation hätten verhindert werden können. Dies gilt insbesondere für voraussehbare personelle Engpässe. Hier kam es zumindest bei einem Wechsel zu einer Vakanz der Richterstelle des Berichterstatters. Auch hätten sich relativ rasche Wechsel des Berichterstatters wie im August 1996 und dann bereits wieder Anfang 1998 durch organisatorische Maßnahmen - soweit voraussehbar - vermeiden lassen. Insoweit hätte das Landgericht beispielsweise prüfen können, ob die Übertragung der Berichterstattung auf ein anderes Kammermitglied möglich gewesen wäre und zu einer höheren Kontinuität bei der Bearbeitung der Sache hätte führen können.

(2)

Entscheidend für die Feststellung des Verfassungsverstoßes ist, dass sich das Landgericht angesichts der außergewöhnlich langen Verfahrensdauer nicht darauf hätte beschränken dürfen, das Verfahren wie einen gewöhnlichen, wenn auch komplizierten Rechtsstreit zu behandeln. Vielmehr hätte es - unter Zugrundelegung seines rechtlichen Ausgangspunkts - sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Verfahrensbeschleunigung nutzen müssen. Gegebenenfalls wäre es gehalten gewesen, sich um gerichtsinterne Entlastungsmaßnahmen zu bemühen.

Es ist nicht ersichtlich, dass das Landgericht besondere Maßnahmen zur Beschleunigung des Verfahrens ergriffen hätte. Dabei ist es nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, den Gerichten bestimmte Beschleunigungsmaßnahmen vorzuschreiben. Die Entscheidung darüber obliegt den Fachgerichten. Welche Maßnahmen geeignet sind, lässt sich nicht abstrakt, sondern nur anhand des konkreten Falls und unter Berücksichtigung der Gründe für die lange Verfahrensdauer entscheiden.

Eine Beschleunigung war hier jedenfalls nicht ausgeschlossen. Mehrfach wechselten die Parteien Schriftsätze, ohne dass das Landgericht irgendetwas veranlasst hätte. Insbesondere die Beweisaufnahme hätte erheblich beschleunigt werden können. Bereits bei Einholung des ersten Gutachtens hatte das Landgericht erkannt, dass ein weiteres Gutachten zur Bewertung der Kiesvorkommen erforderlich sein würde. Dieses hätte es jedenfalls unverzüglich nach Eingang des ersten Gutachtens einholen, wenn nicht schon parallel in Auftrag geben müssen. Der organisatorische Aufwand für die Anfertigung eines Aktendoppels konnte angesichts der Verfahrensdauer ebenso wenig einen Hinderungsgrund darstellen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 775/07 -, NJW 2008, S. 503) wie die verschiedenen Klageerweiterungen und -teilrücknahmen oder die Prozesskostenhilfeanträge. Denn allein im Hinblick auf den von Anfang an geltend gemachten Sockelbetrag, den die Beschwerdeführerin später auf 1,5 Mio. DM erweitert hatte, war die Einholung des Gutachtens offensichtlich zwingend erforderlich. Soweit zwischenzeitlich ernsthafte Zweifel an der Aktivlegitimation der Beschwerdeführerin bestanden, hätte das Landgericht diese durch eine konzentrierte Verfahrensleitung beschleunigt klären müssen.

Überdies hätte das Landgericht das Verfahren erheblich beschleunigen können, wenn es während der beiden Prozesskostenhilfebeschwerdeverfahren die Hauptsache weiterbetrieben hätte. Das erste Beschwerdeverfahren dauerte drei Jahre, das zweite ein Jahr und sieben Monate. Ein schwebendes Beschwerdeverfahren über die Prozesskostenhilfeentscheidung des Gerichts hindert den Fortgang in der Hauptsache grundsätzlich nicht. Das Prozesskostenhilfeverfahren ist ein selbständiges Verfahren und unterbricht das bereits rechtshängige Verfahren in der Hauptsache nicht (vgl. Bork, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2004, § 117 Rn. 24, § 118 Rn. 3). Die Erledigung des Prozesskostenhilfeverfahrens darf grundsätzlich nicht zu einer Verzögerung des Hauptsacheprozesses führen (vgl. Bork, a.a.O., § 118 Rn. 5). Auch mit Blick auf die fehlende Einzahlung des Kostenvorschusses hinsichtlich der im Zusammenhang mit den Prozesskostenhilfeverfahren erklärten Klageerweiterungen konnte das Landgericht die Förderung des Hauptsacheverfahrens nicht verweigern. Denn in beiden Fällen hatte es die Klageerweiterungen bereits zugestellt, ohne dies von der Vorschusszahlung abhängig zu machen. Allein die möglicherweise vom Landgericht gehegte Hoffnung, dass die Beschwerdeentscheidung Hinweise über die Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts bezüglich des Hauptsacheverfahrens enthalten könnte, rechtfertigte es angesichts der bereits zu diesem Zeitpunkt extrem langen Verfahrensdauer nicht, das Hauptsacheverfahren bis zur Beschwerdeentscheidung faktisch auszusetzen. Die vom Oberlandesgericht im Prozesskostenhilfeverfahren vertretene Auffassung entfaltet keine Bindungswirkung für das Hauptsacheverfahren. Jedenfalls als sich abzeichnete, dass das Oberlandesgericht das Beschwerdeverfahren nicht unverzüglich zum Abschluss bringen werde, hätte das Landgericht die Beweisaufnahme fortsetzen müssen.

c)

Nach allem erweist sich die Verfahrensdauer von insgesamt 22 Jahren, davon 19 Jahre nachdem ein Anspruch dem Grunde nach rechtskräftig zuerkannt ist, auch eingedenk aller besonderen Umstände als schlechterdings nicht mehr vertretbare Vorenthaltung von Rechtsschutz. Deshalb ist die darin liegende Verletzung der Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG festzustellen. Das Landgericht ist nunmehr gehalten, unverzüglich geeignete Maßnahmen zu ergreifen, die zu einem möglichst raschen Abschluss des Verfahrens führen. Angesichts der Außergewöhnlichkeit der verfassungswidrigen bisherigen Gesamtdauer wird auch das Präsidium des Landgerichts Sorge für die Sicherstellung von Rahmenbedingungen zu tragen haben, unter denen die Kammer das Verfahren bestmöglich fördern kann.

2.

Soweit die Beschwerdeführerin sich gegen die Prozesskostenhilfeentscheidungen wendet, ist die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil sie ohne Erfolgsaussicht ist. Die Fachgerichte haben weder das aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG folgende Gebot der Rechtsschutzgleichheit verletzt, noch entscheidungserheblichen Vortrag der Beschwerdeführerin übergangen. Insbesondere hat das Oberlandesgericht sich mit dem Privatgutachten der Beschwerdeführerin hinreichend auseinandergesetzt. Auch hat es die Grenzen der im Prozesskostenhilfeverfahren zulässigen Beweisantizipation angesichts des Verfahrensstands und der konkreten Umstände des Falles nicht überschritten, indem es hinsichtlich der Verkehrswertbestimmung von einem maximalen Quadratmeterpreis der Grundstücke in Höhe von 8 DM ausgegangen ist.

Von einer weiteren Begründung wird insoweit gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

3.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts für die anwaltliche Tätigkeit ist auf § 37 Abs. 2 Satz 2, § 14 Abs. 1, § 22 Abs. 1 RVG in Verbindung mit den Grundsätzen über die Festsetzung des Gegenstandswerts im verfassungsrechtlichen Verfahren gestützt (vgl. BVerfGE 79, 365 <368 f.> ).

Fundstelle(n):
NJW 2010 S. 1192 Nr. 17
NJW-RR 2010 S. 207 Nr. 3
FAAAD-26846