BFH Urteil v. - III R 71/06

Aufwendungen eines Elternteils für Besuche seines von ihm getrennt lebenden Kindes keine außergewöhnliche Belastung; Übertragung des Kinderfreibetrags

Gesetze: EStG § 33, EStG § 31, BGB § 1684, EStG § 32 Abs. 6

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wohnte in den Streitjahren 2000 bis 2002 in Norddeutschland. Seine drei damals minderjährigen Kinder lebten im Haushalt seiner Ehefrau, die Anfang 2000 nach Süddeutschland gezogen war. Die Kinder waren bei der Ehefrau mit Erstwohnsitz und bei dem Kläger mit Zweitwohnsitz gemeldet. Die Ehe wurde am geschieden.

In den Einkommensteuererklärungen für 2000 bis 2002 machte der Kläger die PKW-Kosten für Fahrten, um seine Kinder zu besuchen, als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend (2000: 8 232 DM, 2001: 7 392 DM, 2002: 2 430 €).

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) ließ die Aufwendungen nicht zum Abzug zu. Im Einkommensteuerbescheid für 2000 gewährte das FA keine Kinderfreibeträge, weil die Günstigerprüfung ergeben hatte, dass die gebotene steuerliche Freistellung des Existenzminimums der Kinder durch das ausgezahlte Kindergeld bzw. vergleichbare Leistungen bewirkt worden war. Im Einkommensteuerbescheid für 2001 setzte das FA Kinderfreibeträge in Höhe von 10 368 DM (3 x 3 456 DM) und Betreuungsfreibeträge in Höhe von 4 536 DM (3 x 1 512 DM) an. Im Einkommensteuerbescheid für 2002 berücksichtigte das FA für diese drei Kinder Kinderfreibeträge in Höhe von 5 472 € (3 x 1 824 €) sowie Freibeträge für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung in Höhe von 3 240 € (3 x 1 080 €).

Mit seinen Einsprüchen brachte der Kläger vor, bei intakten Familien würden Kosten für Familienheimfahrten/Umgangskosten als Werbungskosten anerkannt. Er finde am Wohnort seiner geschiedenen Ehefrau keinen gleichwertigen Arbeitsplatz. Die Fahrtkosten seien daher in seinem Fall ebenfalls steuerlich zu berücksichtigen. Außerdem stünden ihm die doppelten Kinderfreibeträge des § 32 Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu, weil er allein für den Unterhalt seiner Kinder aufkomme, während seine geschiedene Ehefrau lediglich Betreuungsunterhalt leiste. Das FA wies die Einsprüche durch Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurück.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1080 abgedruckt.

Es war der Auffassung, die Kosten für die Besuchsfahrten seien weder als Werbungskosten noch als außergewöhnliche Belastung abziehbar. Die „vollen” Freibeträge des § 32 Abs. 6 EStG stünden dem Kläger nicht zu, weil die Voraussetzungen des § 32 Abs. 6 Satz 7 EStG (ab dem Veranlagungszeitraum 2002: § 32 Abs. 6 Satz 6 EStG) für eine Übertragung der dem anderen Elternteil zustehenden Freibeträge in den Streitjahren nicht vorlägen.

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 32 Abs. 6 und des § 33 EStG.

Er trägt im Wesentlichen vor, die Aufwendungen für die Besuchsfahrten seien nicht durch die Freibeträge des § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG abgegolten, da die Kosten die zumutbare Belastung i.S. des § 33 EStG weit überschritten. Er —der Kläger— sei auch gemäß § 1684 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zum Umgang mit seinen Kindern verpflichtet. Die Nichtberücksichtigung der Fahrtkosten als außergewöhnliche Belastung benachteilige ihn gegenüber Vätern in intakter Familie, die Aufwendungen für Wochenendheimfahrten steuerlich absetzen könnten.

Außerdem seien ihm —wie verheirateten Vätern in intakter Familie— die doppelten Freibeträge des § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG zu gewähren, da er allein für den Barunterhalt der Kinder aufkomme und sich den Betreuungsunterhalt mit der geschiedenen Ehefrau teile. Die finanzielle Situation habe sich für ihn durch die Scheidung verschlechtert, weil er über den Barunterhalt hinaus die Fahrtkosten zu tragen habe. Die Freibeträge erreichten —auch ohne Berücksichtigung der Fahrtkosten— nicht annähernd die Höhe des tatsächlich geleisteten Unterhalts.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das FG-Urteil sowie die Einspruchsentscheidung vom aufzuheben und unter Änderung des Einkommensteuerbescheids für 2000 vom , des Einkommensteuerbescheids für 2001 vom sowie des Einkommensteuerbescheids für 2002 vom die doppelten Freibeträge des § 32 Abs. 6 EStG für drei Kinder zu gewähren und die Kosten für die Besuchsfahrten als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.

1. Nach zutreffender Entscheidung des FG sind die Kosten des Klägers für die Besuchsfahrten nicht als außergewöhnliche Belastung abziehbar.

a) Nach § 33 Abs. 1 EStG wird auf Antrag die Einkommensteuer ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastung) erwachsen.

Die Aufwendungen entstehen gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG zwangsläufig, wenn der Steuerpflichtige sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann (Zwangsläufigkeit dem Grunde nach) und soweit sie den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (Zwangsläufigkeit der Höhe nach).

b) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sind Aufwendungen außergewöhnlich, wenn sie nicht nur ihrer Höhe, sondern auch ihrer Art und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen liegen. Die typischen Aufwendungen der Lebensführung sind dagegen ungeachtet ihrer Höhe im Einzelfall aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen. Sie werden durch den Grundfreibetrag (§ 32a EStG) berücksichtigt (z.B. Senatsurteil vom III R 39/05, BStBl II 2007, 764, BFH/NV 2007, 1768). Familienbedingte Aufwendungen sind bis 1995 durch die Regelungen des Kinderlastenausgleichs (Kinderfreibetrag und Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz —BKGG—) und ab 1996 durch die Regelungen des Familienleistungsausgleichs (in den Streitjahren 2000 bis 2002 Freibeträge für Kinder oder Kindergeld —§ 32 Abs. 6, § 31 EStG—) abgegolten (z.B. , BFHE 180, 551, BStBl II 1997, 54, und vom III R 60/96, BFH/NV 1997, 755).

c) Zu den nicht außergewöhnlichen, bei typisierender Betrachtungsweise abgegoltenen Aufwendungen gehören in der Regel die Kosten für Fahrten, um nahe Angehörige zu besuchen (z.B. , BFHE 161, 69, BStBl II 1990, 894, und III R 145/85, BFHE 161, 73, BStBl II 1990, 895, —Besuch des Ehegatten bzw. des Kindes in der Haftanstalt—; vom III R 28/89, BFH/NV 1992, 96, m.w.N. —Besuch des kranken Vaters—), es sei denn, die Fahrten werden ausschließlich zum Zwecke der Heilung oder Linderung einer Krankheit unternommen (Senatsurteil vom III R 60/88, BFHE 161, 432, BStBl II 1990, 958).

Durch die Regelungen des Kinderlastenausgleichs bzw. ab 1996 des Familienleistungsausgleichs sind nach der Rechtsprechung auch die Kosten eines alleinstehenden Elternteils für Wochenendfahrten zu einem von ihm getrennt lebenden Kind in Erfüllung der elterlichen Pflicht zur Personensorge abgegolten (, BFHE 148, 22, BStBl II 1987, 167, und vom III R 23/88, BFH/NV 1992, 172, unter 1. b). Die Aufwendungen eines geschiedenen, nicht sorgeberechtigten Vaters für Fahrten zu seinem Kind aufgrund seines Besuchsrechts nach § 1634 BGB a.F. hat der Senat —in einem den Veranlagungszeitraum 1990 betreffenden Fall— ebenfalls als typische —nicht nach § 33 EStG steuermindernd zu berücksichtigende— Kosten der Lebensführung behandelt (Senatsurteil in BFHE 180, 551, BStBl II 1997, 54). An den Grundsätzen dieser Entscheidung hält der Senat auch für die Streitjahre 2000 bis 2002 fest.

d) Der Gesetzgeber hat die Aufwendungen des nicht sorgeberechtigten Elternteils für den Umgang mit seinem Kind —unabhängig von der Höhe der im Einzelfall entstehenden Aufwendungen— den typischen Aufwendungen der Lebensführung zugeordnet, die durch den Kinderlastenausgleich bzw. ab 1996 durch den Familienleistungsausgleich berücksichtigt werden.

Durch das Steuerreformgesetz (StRG) 1990 vom (BGBl I 1988, 1093, BStBl I 1988, 224) hat der Gesetzgeber den in § 33a Abs. 1a EStG a.F. geregelten Freibetrag zur Pflege des Eltern-Kind-Verhältnisses aufgehoben. Dieser Freibetrag sollte insbesondere Aufwendungen abgelten, die einem geschiedenen Elternteil (dem das Kind nicht zugeordnet war) z.B. durch Besuche des Kindes entstanden. In der Begründung zum Entwurf des StRG 1990 wird ausgeführt, der Freibetrag sei zu einer Zeit eingeführt worden, zu der der barunterhaltspflichtige Elternteil grundsätzlich keine Steuerermäßigung für seine Kinder erhalten habe. Der ab 1983 wieder eingeführte Kinderfreibetrag stehe aber grundsätzlich beiden Elternteilen zur Hälfte zu. Nach der mehrmaligen Anhebung des Kinderfreibetrags sei „es berechtigt, Aufwendungen zur Pflege des Eltern-Kind-Verhältnisses als durch Kinderfreibetrag und Kindergeld mit abgegolten zu betrachten” (BTDrucks 11/2157, S. 150).

e) Der seit 1996 eingeführte Familienleistungsausgleich (steuerliche Entlastung durch Kinderfreibetrag oder Kindergeld, § 32 Abs. 6, § 31 EStG) lässt die vom Gesetzgeber vorgesehene Abgeltungswirkung unberührt. Der in den Veranlagungszeiträumen 2000 bis 2002 auch dem nicht sorgeberechtigten Elternteil zustehende Kinderfreibetrag oder das Kindergeld (falls der nichtsorgeberechtigte Elternteil Anspruch auf Kindergeld hat) gelten —ebenso wie im Veranlagungszeitraum 1990 der Kinderfreibetrag und das Kindergeld nach dem BKGG— die zur typischen Lebensführung rechnenden Kosten für den Umgang mit dem Kind ab.

f) Die zivilrechtlichen Änderungen zum Umgangsrecht durch das Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts (KindRG) vom (BGBl I 1997, 2942), das am in Kraft getreten ist (vgl. Art. 17 § 1 KindRG), geben keinen Anlass, die bisherige Rechtsprechung zu ändern. Nach § 1684 Abs. 1 BGB i.d.F. des KindRG ist jeder Elternteil zum Umgang mit dem Kind berechtigt und auch das Kind hat das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil. Dem Recht des Kindes entspricht eine Verpflichtung der Eltern zum Umgang mit dem Kind. Aufgrund dieser ausdrücklich geregelten Rechtspflicht jedes Elternteils sind die Aufwendungen zwar als zwangsläufig anzusehen. Dadurch, dass jeder Elternteil nunmehr nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht hat, Kontakt zu seinem Kind zu halten, werden aber die zu den typischen Kosten der Lebensführung gehörenden Aufwendungen nicht außergewöhnlich i.S. des § 33 EStG.

Das Recht und die Pflicht zum Umgang mit den eigenen Kindern bestehen auch bei intakten Ehen und ergeben sich hier aus dem gemeinsamen Sorgerecht für die Kinder. Bei getrennt lebenden oder geschiedenen Eltern, insbesondere wenn nur ein Elternteil das Sorgerecht hat, bedarf es jedoch zur Vermeidung von Streit einer besonderen gesetzlichen Regelung. Steuerrechtliche Folgerungen hinsichtlich der durch den Umgang mit den Kindern entstehenden Kosten ergeben sich hieraus aber nicht.

Weder ist es als außergewöhnlich anzusehen, dass ein Elternteil von seinen Kindern getrennt lebt, weil zwischen den Eltern keine eheliche oder eheähnliche Lebensgemeinschaft (mehr) besteht, noch sind die aufgrund der Trennung der Eltern entstehenden Kosten für den Umgang mit den Kindern außergewöhnlich. Denn eine räumliche Trennung zwischen Eltern und Kindern ist auch bei zusammenlebenden Eltern nicht unüblich, etwa wenn Kinder eine Schule im Ausland besuchen, auswärtig für einen Beruf ausgebildet werden, in einem Heim, einem Krankenhaus oder einer Rehabilitationseinrichtung untergebracht sind, oder im Rahmen eines Schüleraustauschs längere Zeit im Ausland leben.

g) Entgegen der Auffassung des Klägers wird der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht dadurch verletzt, dass ein in intakter Familie lebender Familienvater die Aufwendungen für Familienheimfahrten gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG bei Vorliegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung als Werbungskosten abziehen kann. Dieser Sachverhalt ist in wesentlichen Punkten nicht mit dem Streitfall vergleichbar, weil der Abzug dieser Aufwendungen als Werbungskosten nicht davon abhängt, ob ein Steuerpflichtiger in intakter Familie lebt, sondern ob der Steuerpflichtige außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und am Beschäftigungsort wohnt (z.B. , BFHE 203, 386, BStBl II 2004, 16). Die Kosten für die Wahrnehmung des Umgangsrechts sind jedoch Folge der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft bzw. der Scheidung des Klägers. Insoweit besteht kein Anspruch des Klägers, mit Ehegatten gleichbehandelt zu werden, deren Ehe fortbesteht (vgl. , Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 1993, 408, und Senatsbeschluss vom III B 153/02, BFH/NV 2004, 162, m.w.N.).

h) In den Streitjahren stand dem Kläger gemäß § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG für jedes Kind ein Kinderfreibetrag in Höhe von 3 456 DM (2000 und 2001) bzw. 1 824 € (2002) zu. Da die Günstigerprüfung für den Veranlagungszeitraum 2000 ergeben hatte, dass die steuerliche Freistellung des jeweiligen Existenzminimums der Kinder durch das ausgezahlte Kindergeld bzw. vergleichbare Leistungen bewirkt worden war, wurden bei der Veranlagung des Klägers für 2000 keine Kinderfreibeträge berücksichtigt. Kindergeld hat der Kläger zwar nicht erhalten, weil das Kindergeld bei mehreren Berechtigten demjenigen gezahlt wird, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG), also im Streitfall der Mutter. Dem Kläger ist das Kindergeld jedoch zur Hälfte durch Anrechnung auf seine zivilrechtliche Unterhaltspflicht gegenüber seinen Kindern zugute gekommen (§ 1612b Abs. 1 BGB). Mit diesem dem Kindergeld gleichgestellten Ausgleichsanspruch im Jahr 2000 sind ebenso wie mit den das sächliche Existenzminimum des Kindes von der Einkommensteuer freistellenden Kinderfreibeträgen (vgl. u.a., BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182, unter C. I.) bei den Veranlagungen für 2001 und 2002 alle typischen Lebensführungskosten —wie die im Streitfall für den Umgang mit den Kindern entstandenen Fahrtkosten— ungeachtet ihrer Höhe abgegolten.

2. Die Entscheidung des Gesetzgebers, dass Kosten des getrennt lebenden Elternteils für Besuche des Kindes durch den Kinderlastenausgleich bzw. ab 1996 durch den Familienleistungsausgleich abgegolten sind, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger ist in seinen Grundrechten nicht dadurch verletzt, dass diese Kosten nicht nach § 33 EStG steuerlich berücksichtigt werden.

a) Nach der Rechtsprechung des BVerfG ergibt sich im Einkommensteuerrecht für den Gesetzgeber aus dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des GrundgesetzesGG—) das Gebot, die Steuerlast an der finanziellen Leistungsfähigkeit auszurichten, die nach dem objektiven und subjektiven Nettoprinzip zu bemessen ist. Für den Bereich des subjektiven Nettoprinzips gebieten Art. 3 Abs. 1 sowie Art. 1 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG, das Existenzminimum des Steuerpflichtigen und seiner unterhaltsberechtigten Familie von der Einkommensteuer zu verschonen. Auf Mittel, die für den Unterhalt von Kindern unerlässlich sind, darf der Staat bei der Besteuerung nicht in gleicher Weise zugreifen wie auf Mittel, die der Bürger zur Befriedigung beliebiger anderer Bedürfnisse einsetzen kann (z.B. Beschlüsse vom 2 BvR 400/98 u.a., BVerfGE 107, 27, BStBl II 2003, 534, und vom 2 BvL 7/00, BVerfGE 112, 268, BFH/NV 2005, Beilage 4, 356, jew. m.w.N.).

In seinen Entscheidungen in BVerfGE 107, 27, BStBl II 2003, 534, und in BVerfGE 112, 268, BFH/NV 2005, Beilage 4, 356, hat das BVerfG erstmals ausgeführt, für die steuerliche Berücksichtigung von Aufwendungen komme es nicht nur auf deren berufliche oder private Veranlassung an, sondern auch auf die Unterscheidung zwischen freier/beliebiger Einkommensverwendung und „zwangsläufigem, pflichtbestimmten Aufwand”. Auch wenn Aufwendungen ganz oder teilweise der Sphäre der allgemeinen (privaten) Lebensführung zuzuordnen seien, müsse der Gesetzgeber die unterschiedlichen Gründe für den Aufwand „im Lichte betroffener Grundrechte differenzierend würdigen”. Beide Entscheidungen betrafen Aufwendungen der privaten Lebensführung, die auch durch den Beruf veranlasst waren (Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung bei Kettenabordnung und bei Ehegatten, die an verschiedenen Orten beruflich tätig waren, sowie Betreuungsaufwendungen berufstätiger Eltern).

Nicht nur im Bereich des objektiven, sondern auch im Bereich des subjektiven Nettoprinzips darf der Gesetzgeber aber generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen (BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 107, 27, BStBl II 2003, 534, und in BVerfGE 112, 268, BFH/NV 2005, Beilage 4, 356).

Aufgrund dieser Befugnis des Gesetzgebers werden das von der Einkommensteuer freizustellende sächliche Existenzminimum des Steuerpflichtigen durch den Grundfreibetrag und das sächliche Existenzminimum eines Kindes durch den Kinderfreibetrag oder das Kindergeld berücksichtigt (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182, unter C. I.).

Maßgröße für das von der Einkommensteuer freizustellende sächliche Existenzminimum ist nach der Entscheidung des u.a. (BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413, unter C. I. 3.) der im Sozialhilferecht jeweils anerkannte Mindestbedarf. Dieser umfasste in den Streitjahren 2000 bis 2002 den von der zuständigen Landesbehörde oder dem örtlichen Sozialhilfeträger festgesetzten Regelsatz (vgl. § 22 Abs. 3 des BundessozialhilfegesetzesBSHG—), Leistungen für Unterkunft und Heizung (§ 3 Abs. 1 und 2 Regelsatzverordnung) sowie einmalige Hilfen, die einen zusätzlichen, durch die laufenden Leistungen nicht gedeckten Grundbedarf berücksichtigen.

Einmalleistungen werden in der Regel gewährt für die Instandsetzung sowie Beschaffung von Hausrat und Bekleidung sowie die „Wahrnehmung besonderer Anlässe” (vgl. Dritter Bericht über die Höhe des Existenzminimums von Kindern und Familien für das Jahr 2001, BTDrucks 14/1926, S. 2). Einmalleistungen wurden aufgrund von Sondererhebungen des Statistischen Bundesamtes bei den örtlichen Sozialhilfeträgern für Alleinstehende mit 16 %, für erwachsene Haushaltsangehörige mit 17 % und für Kinder mit 20 % der Summe der Regelsätze angesetzt (Dritter Bericht über die Höhe des Existenzminimums von Kindern und Familien für das Jahr 2001, BTDrucks 14/1926, S. 2, 3).

Da die sozialhilferechtlichen Regelsätze für Kinder altersabhängig und regional verschieden sind, sind nach der Entscheidung des (BVerfGE 91, 93, BStBl II 1994, 909, unter C. II. 1. c) Durchschnittsätze zu bilden. Dementsprechend wurde das sächliche Existenzminimum eines Kindes für das Jahr 2001 mit 6 768 DM ermittelt (Dritter Bericht über die Höhe des Existenzminimums von Kindern und Familien für das Jahr 2001, BTDrucks 14/1926, S. 5) und in den Streitjahren mit einem Betrag von 6 912 DM (2000 und 2001) bzw. 3 648 € (2002) von der Einkommensteuer freigestellt. Werden die Eltern —wie im Streitfall— nicht zusammen zur Einkommensteuer veranlagt, steht jedem Elternteil ein Kinderfreibetrag in Höhe von 3 456 DM bzw. 1 824 € zu, sofern die steuerliche Freistellung des jeweiligen Existenzminimums nicht schon durch das ausgezahlte Kindergeld bzw. vergleichbare Leistungen bewirkt worden ist.

b) Die Entscheidung des Gesetzgebers, dass Aufwendungen eines getrennt lebenden Elternteils für den Umgang mit den Kindern durch den Familienleistungsausgleich abgegolten sind, liegt im Rahmen seines Regelungsspielraums.

In welchem Umfang für den Umgang mit dem Kind Aufwendungen erbracht werden müssen und ob sie überhaupt in einem ins Gewicht fallenden Umfang entstehen, ist von Fall zu Fall verschieden und weitgehend von der persönlichen, vielfach auf rein privaten Motiven beruhenden Lebensgestaltung des nicht sorgeberechtigten Elternteils abhängig. Vielfach entstehen durch die Ausübung des Rechts und der Pflicht zum persönlichen Umgang nach § 1684 Abs. 1 BGB keine oder nur geringe zusätzliche, über die in jeder Familie üblichen Aufwendungen hinausgehende Kosten, weil die Kinder z.B. in der Nähe des nicht sorgeberechtigten Elternteils wohnen bleiben oder dieser den Kindern an einen neuen Wohnort nachfolgt. Individueller Sonderbedarf ist grundsätzlich nicht bei der Ermittlung des von der Steuer freizustellenden Existenzminimums zu berücksichtigen, da bei allen Steuerpflichtigen gleichermaßen die existenznotwendigen Mindestaufwendungen typisierend anzusetzen sind. Daher muss bei der Ermittlung des steuerrechtlichen Existenzminimums auch nicht jede sozialrechtliche Zusatzleistung mitberücksichtigt werden (vgl. Senatsurteil vom III R 48/04, BFH/NV 2007, 2176).

In welchem Umfang durch eine zusätzliche steuerliche Entlastung der Umgang mit dem Kind erleichtert und gefördert werden soll, liegt im Regelungsermessen des Gesetzgebers (Senatsurteil in BFHE 180, 551, BStBl II 1997, 54).

3. Nach ebenfalls zutreffender Entscheidung des FG stehen dem Kläger nur die Kinderfreibeträge des § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG zu.

Nach § 32 Abs. 6 Satz 7 (ab dem Veranlagungszeitraum 2002: Satz 6) EStG wird bei einem unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Elternpaar, bei dem —wie im Streitfall— die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht vorliegen, auf Antrag eines Elternteils der dem anderen Elternteil zustehende Kinderfreibetrag auf ihn übertragen, wenn er, nicht jedoch der andere Elternteil seiner Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind für das Kalenderjahr im Wesentlichen nachkommt.

Diese Voraussetzung liegt in den Streitjahren nicht vor. Eine Übertragung des Kinderfreibetrags auf den Kläger gemäß § 32 Abs. 6 Satz 7 Halbsatz 1 EStG ist nicht zulässig, weil die geschiedene Ehefrau ihrer Unterhaltspflicht durch Leistung von Betreuungsunterhalt nachkam. Aus dem Umstand, dass sie keinen Barunterhalt leistete, ergibt sich kein Anspruch auf Übertragung des Kinderfreibetrags. Wird nur Betreuungsunterhalt geschuldet (vgl. § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB), ist die Erfüllung dieser Pflicht entscheidend, da der Gesetzgeber von der Gleichwertigkeit der Unterhaltsleistung durch Zahlung von Geldbeträgen und durch persönliche Betreuung ausging (vgl. , BFH/NV 1998, 568, m.w.N.).

Dieses Ergebnis ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Nach der Rechtsprechung des BFH ist den verfassungsrechtlichen Vorgaben genügt, wenn —wie im Streitfall— sichergestellt ist, dass jeder Elternteil im Rahmen seiner Veranlagung zur Einkommensteuer die ihm unter Berücksichtigung der Höhe seines Einkommens verfassungsrechtlich zustehende Entlastung wegen des für sein Kind geleisteten Unterhalts erhält (, BFH/NV 2002, 1137). Entgegen der Auffassung des Klägers ist es verfassungsrechtlich weder geboten, Unterhaltsleistungen für die Kinder in der vollen Höhe des bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsanspruchs zu berücksichtigen, noch die steuerliche Entlastung für kindbedingte Aufwendungen am bürgerlich-rechtlichen Unterhalt auszurichten (, BFH/NV 2001, 1110, und Senatsbeschluss vom III B 179/04, BFH/NV 2006, 1646, jeweils m.w.N.).

Dem (BFHE 207, 471) ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen. Darin hat der BFH § 31 Satz 5 i.V.m. § 36 Abs. 2 Satz 1 EStG in der für das Streitjahr 2001 maßgeblichen Fassung insoweit für verfassungswidrig gehalten, als die Hinzurechnung des hälftigen Kindergelds zur tariflichen Einkommensteuer bewirkt, dass im wirtschaftlichen Ergebnis nicht einmal die tatsächlichen —die Freibeträge des § 32 Abs. 6 EStG unterschreitenden— Unterhaltszahlungen des Steuerpflichtigen von der Einkommensteuer freigestellt worden sind. Dies betrifft indes nur die sog. Mangelfälle, in denen der Steuerpflichtige seine Verpflichtung zur Zahlung von Kindesunterhalt nicht gemäß § 1612b Abs. 1 BGB in vollem Umfang mit dem Ausgleichsanspruch in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Kindergeldes verrechnen darf, weil er nicht in der Lage ist, Unterhalt in Höhe von 135 % des Regelbetrags nach der Regelbetrag-Verordnung zu zahlen (vgl. § 1612b Abs. 5 BGB). Ein solcher Mangelfall ist im Streitfall aber nicht gegeben.

Fundstelle(n):
YAAAC-72612