BGH Beschluss v. - 1 StR 111/02

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: GVG § 132 Abs. 4; StPO § 68 aF; StPO § 247a; StPO § 68 Satz 2; StPO § 68 Abs. 3; StPO § 251 Abs. 2

Gründe

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Beschwerdeführer die Verletzung formellen und sachlichen Rechts.

1. Nach den Feststellungen stand der Angeklagte zusammen mit dem Mitangeklagten K. wegen des Verkaufs von ca. 1 kg Heroin mit einer sich D. nennenden und als Drogenaufkäufer auftretenden Vertrauensperson (VP) der Polizei in Verbindung; nachdem bereits ca. 100 g Heroin an D. übergeben worden waren, wurde der Angeklagte vor der Übergabe weiterer 850 g festgenommen. Er räumt den äußeren Ablauf des Tatgeschehens im wesentlichen ein, macht jedoch geltend, die 850 g Heroin hätten dem D. nicht wirklich verkauft werden sollen, vielmehr hätte diesem nur der entsprechende Kaufpreis "abgelinkt" werden sollen; außerdem habe er nur dem Mitangeklagten K. Hilfsdienste geleistet.

2. Die Strafkammer stützt ihre Überzeugung von dem angenommenen Umfang des Geschäfts und von der Täterschaft des Angeklagten in erster Linie auf die Angaben der VP D. und zweier Verdeckter Ermittler (VE).

Diese drei Personen standen der Kammer wegen Sperrerklärungen des Ministeriums des Innern zunächst nicht als Zeugen zur Verfügung, so daß sie deren polizeiliche Führungs- und Vernehmungsbeamte eingehend vernommen hat. Im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung hat die Kammer die VP und die beiden VE mit Einverständnis der Verteidigung und nunmehr auch des Ministeriums des Innern in folgender Weise gemäß § 247a StPO vernommen: Den Zeugen wurde gestattet, unter ihrem Decknamen auszusagen und Angaben zu ihrer Person im übrigen gemäß § 68 Abs. 3 StPO zu verweigern. Die Übertragung der Vernehmung wurde in der Weise modifiziert, daß über die Linse der am Vernehmungsort eingesetzten Kamera eine Plastikfolie gelegt und die Übertragung der Stimmen der Zeugen durch technische Maßnahmen (Graphic Equalizer) in den Höhen und Tiefen begrenzt wurde. Hierdurch wurde das Erkennen der Gesichtszüge und der Stimmen der Zeugen hinreichend verhindert, ohne daß die Beobachtung von Mimik und Gestik sowie von Tonfall und Stimmfärbung in erheblicher Weise beeinträchtigt war. Ohne die Modifizierung der Bild- und Tonübertragung hätte das Ministerium des Innern an seinen Sperrerklärungen festgehalten.

3. Der Angeklagte beanstandet mit einer Verfahrensrüge die Modifizierung der Bild- und Tonübertragung der Vernehmungen als "unrichtig". Der Senat erwägt, die Revision - die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge und die weiteren Verfahrensrügen hat keinen Rechtsfehler ergeben - auch insoweit zu verwerfen.

Die Verfahrensrüge scheitert zwar nicht daran, daß der Beschwerdeführer sein Einverständnis zu der vom Landgericht gewählten Verfahrensweise erklärt hatte. Ihm ging es ersichtlich darum, sein Fragerecht (vgl. Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK) so gut wie möglich ausüben zu können. Daß er unter den hier gegebenen Umständen die ihn am wenigsten einschränkenden Erkenntnismöglichkeiten akzeptierte, hindert ihn nicht daran, mit der Revision geltend zu machen, daß er bei "richtiger" Durchführung des Verfahrens nach § 247a StPO bessere Verteidigungsmöglichkeiten gehabt hätte.

Auf einem etwaigen Gesetzesverstoß könnte das Urteil auch beruhen, obwohl das Landgericht in seiner Beweiswürdigung ausgeführt hat, seine Überzeugung von der Schuld des Angeklagten ergebe sich nicht aus den Videovernehmungen, weil es bereits nach den Aussagen der polizeilichen Führungs- und Vernehmungsbeamten der Zeugen zu einer hinreichenden Überzeugungsbildung in der Lage gewesen sei. Das Landgericht hat nämlich die Videovernehmungen in umfangreicher Weise inhaltlich bewertet, so daß der Senat eine Auswirkung auf die Überzeugungsbildung gleichwohl nicht auszuschließen vermag.

Die Rüge ist nach Auffassung des Senats jedoch unbegründet, weil die von dem Landgericht vorgenommenen Veränderungen der Bild- und Tonübertragung rechtlich zulässig waren. Soweit der Große Senat für Strafsachen mit Beschluß vom festgestellt hat, daß "das geltende Recht eine Beweisaufnahme unter optischer oder akustischer Abschirmung nicht vor(sieht)" (BGHSt 32, 115, 124f.), erscheint dies dem Senat wegen durchgreifend geänderter Rechtslage als überholt. Er hält es allerdings für geboten, vor einer entsprechenden eigenen Entscheidung dem Großen Senat die Frage zur Entscheidung wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 132 Abs. 4 GVG vorzulegen. Dies würde sich für den Senat indessen erübrigen, wenn die anderen Strafsenate seiner Auffassung zustimmen (vgl. Franke in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 132 GVG Rdn. 43 m.w.N.).

II.

1. Aufgrund der mit optischer und akustischer Abschirmung vorgenommenen audiovisuellen Vernehmung der VP und der beiden VE hat das Landgericht, dem sonst für die Beweiswürdigung lediglich die Bekundungen der polizeilichen Führungs- und Vernehmungsbeamten zur Verfügung gestanden hätten, die unmittelbaren Tatzeugen als Beweismittel in die Hauptverhandlung eingebracht. Diese stellen das verfassungsrechtlich geforderte (vgl. BVerfGE 57, 250, 285) bestmögliche und sachnähere Beweismittel dar. Die Vernehmung der polizeilichen Führungs- und Vernehmungsbeamten ist wie auch die Verlesung polizeilicher Vernehmungsprotokolle ein Rückgriff auf Beweissurrogate, die die gerichtliche Wahrheitsermittlung und die Verteidigungsrechte einschränken, wenn - was in der gerichtlichen Praxis notgedrungen zunehmend geschieht - auf sie zurückgegriffen wird. Die Wahrung der Anonymität der unmittelbaren Tatzeugen und die Verwendung sachferner Beweismittel schränkt die Aufklärungsmöglichkeiten des Gerichts ein. Auch das Korrektiv der "vorsichtigen Beweiswürdigung" (vgl. BGHSt 17, 382; vgl. auch BVerfGE 57, 250, 290; BGHSt 33, 83, 88; 33, 178, 181) ändert an dieser so eingeschränkten Tatsachengrundlage nichts. Demgegenüber verschafft das hier praktizierte Verfahren sowohl dem Gericht als auch den übrigen Verfahrensbeteiligten bessere Erkenntnismöglichkeiten:

Die Vernehmung des unmittelbaren Tatzeugen einschließlich des Verhörs (§ 69 Abs. 2 StPO) durch die Verfahrensbeteiligten kann diesen - anders als die Vernehmung der Verhörspersonen - verläßlicher vermitteln, ob der Tatzeuge zutreffende Wahrnehmungen gemacht hat und ob er diese korrekt wiedergibt. Auf diese Weise werden das Gericht und die übrigen Verfahrensbeteiligten bei zuverlässigen Belastungszeugen eher zur Überzeugung von der Richtigkeit der Bekundungen des unmittelbaren Zeugen kommen, als dies aufgrund der Angaben der Zeugen vom Hörensagen möglich ist. Ebenso läßt sich auch die etwaige Unzuverlässigkeit der Angaben der Belastungszeugen verläßlicher beurteilen als aufgrund des vermittelten "stimmigen und eindeutigen" Aussageinhalts, wie ihn der Vernehmungsbeamte empfunden hat und wiedergibt. Entsprechendes gilt für Entlastungszeugen. Dies verdeutlicht, daß der entscheidende Vorteil gegenüber der Heranziehung der Beweissurrogate mit der dann folgerichtig aus Rechtsgründen gebotenen besonders vorsichtigen Beweiswürdigung ("forensische Wahrheit") darin besteht, daß alle Verfahrensbeteiligten auf eine breitere Tatsachengrundlage zurückgreifen können, wenn sie sich ihre Überzeugung von der materiellen Wahrheit verschaffen oder prüfen müssen, ob vernünftige Zweifel angebracht sind.

Die audiovisuelle Vernehmung der Gewährsperson in Verbindung mit deren optischer und akustischer Verfremdung ist daher das bessere Beweismittel sowohl unter dem Gesichtspunkt der Wahrheitsfindung als auch unter dem der Verteidigungsmöglichkeiten. Sie führt als gangbare Alternative zur völligen Sperrung des Zeugen zu einer sinnvollen Konkordanz zwischen Wahrheitsermittlung, Verteidigungsinteressen und Zeugenschutz (in diesem Sinne bereits Diemer in KK 4. Aufl. § 247a Rdn. 14; Weider StV 2000, 48).

2. Der Beschluß des Großen Senats vom (BGHSt 32, 115) steht dieser Verfahrensweise nicht mehr entgegen. Die Gesetzeslage hat sich insoweit grundlegend geändert.

Für den Großen Senat war bei seiner Absage an die optische und akustische Abschirmung eines Zeugen entsprechend der seinerzeitigen strafprozessualen Regelung ausschlaggebend, daß die Glaubwürdigkeitsprüfung des Zeugen seine volle Individualisierung zwingend erfordere (aaO S. 128); gemäß § 68 Satz 2 StPO aF - eingefügt durch das Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 (BGBl. 1978 I S. 1645) - konnte ihm lediglich gestattet werden, seinen Wohnort nicht anzugeben. Den Verfahrensbeteiligten sollte in keinem Fall die Möglichkeit genommen werden, die Glaubwürdigkeit des Zeugen zu prüfen, indem sie etwa Erkundigungen über ihn einholen.

Der Gesetzgeber hat inzwischen neue Wertentscheidungen getroffen. Das Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (BGBl. 1992 I S. 1302) hat es mit dem neuen § 68 Abs. 3 StPO dem Zeugen ermöglicht, im Falle seiner Gefährdung Angaben zu seiner Person ganz zu verweigern; er kann nunmehr auch dann als Zeuge zur Verfügung stehen, wenn seine Identität vollständig verborgen bleibt. Weiterhin hat die Einführung der audiovisuellen Vernehmung des gefährdeten Zeugen gemäß § 247a StPO durch das Zeugenschutzgesetz (BGBl. 1998 I S. 820) den Verzicht auf die körperliche Anwesenheit des Zeugen in der Hauptverhandlung ermöglicht und damit bereits aufgrund der Bild- und Tonübertragung zu einem nur eingeschränkten unmittelbaren Eindruck von ihm geführt. Gegenüber der vollen Individualisierbarkeit und Erkennbarkeit des in der Hauptverhandlung zu hörenden Zeugen hat mithin der im Interesse einer wirksamen Bekämpfung moderner Kriminalitätsformen erforderliche Zeugenschutz Vorrang erhalten.

Mit diesen gesetzlichen Änderungen geht auch eine geänderte Einschätzung dessen einher, was die Glaubwürdigkeitsprüfung eines Zeugen entscheidend ausmacht. Unter der Geltung des § 68 StPO aF stand die Frage nach einer allgemeinen Glaubwürdigkeit des Zeugen im Sinne einer dauerhaften personalen Eigenschaft im Vordergrund. Seine Identität sollte voll gewahrt werden, um die Einholung von Erkundigungen über ihn - seinen "Leumund" - zu ermöglichen. Heute geht es bei der Glaubwürdigkeitsprüfung mehr um die Analyse des Aussageinhalts, d.h. um eine methodische Beurteilung, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben einem tatsächlichen Erleben des Zeugen entsprechen (vgl. z.B. BGHSt 45, 164). Dem wird eine abschirmende Videovernehmung für den Fall, daß der Zeuge sonst in der Hauptverhandlung überhaupt nicht zur Verfügung stünde, eher gerecht.

3. Daß das Gesetz die optische und akustische Abschirmung des audiovisuell zu vernehmenden Zeugen nicht ausdrücklich vorsieht, macht diese nicht unzulässig. Entscheidend für die Zulässigkeit dieser in der Strafprozeßordnung nicht geregelten Verfahrensweise kann vielmehr nur sein, ob sie mit den Grundsätzen des Verfahrensrechts und den Wertvorstellungen unserer Rechtsordnung im Einklang steht.

Die Beweisaufnahme ist stets in einer Form durchzuführen, die - unter Beachtung der Belange des Zeugen - dem im Gesetz grundsätzlich vorgesehenen Verfahren am nächsten kommt (vgl. BGH NStZ 1993, 292). Ist die unmittelbare Vernehmung des Zeugen wegen einer Sperrerklärung der Innenverwaltung nicht möglich, läßt das Gesetz Beweissurrogate wie die Verlesung polizeilicher Vernehmungsprotokolle gemäß § 251 Abs. 2 StPO (vgl. BGHSt 33, 83) oder die Vernehmung der polizeilichen Führungsbeamten der Gewährsperson als Zeugen vom Hörensagen (vgl. BGHSt 33, 178, 181) zu. Wenn aber die völlige Ersetzung der Vernehmung der unmittelbaren Wahrnehmungsperson verfahrensrechtlich möglich ist, dann muß dies erst recht für deren Vernehmung unter optischer und akustischer Abschirmung gelten. Denn es handelt sich dann trotz der Abschirmung immer noch um eine unmittelbare Vernehmung, der ein höherer Beweiswert zukommt als den bloßen Beweissurrogaten.

4. Die neuere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) hat der Verwertung des Wissens anonym gehaltener Zeugen durch Beweissurrogate erhebliche Grenzen gesetzt (z.B. EGMR StV 1990, 481 - Kostovski ./. Niederlande -; StV 1991, 193 - Windisch ./. Österreich -; NJW 1992, 388 - Lüdi ./. Schweiz -; StV 1997, 617 - van Mechelen ./. Niederlande -; StraFo 2002, 160 - Visser ./. Niederlande -). Die Auslegung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (MRK) durch den EGMR ist bei der Anwendung des deutschen Strafprozeßrechts zu berücksichtigen (BGHSt 45, 321, 328f.; 46, 93, 97). Die zugrundeliegenden Entscheidungen des EGMR betreffen zwar nicht unmittelbar die deutsche Gesetzeslage und tragen auch Besonderheiten der jeweiligen Fälle Rechnung, doch sind die in ihnen aufgezeigten Grundsätze eines fairen Verfahrens auch in Fällen der vorliegenden Art einschlägig.

Nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR (vgl. z.B. EGMR NJW 1992, 3088, 3089) bestimmt sich die Zulässigkeit von Beweismitteln in erster Linie nach innerstaatlichem Recht, dessen Auslegung den nationalen Gerichten vorbehalten bleibt. Der EGMR prüft aber, ob das Verfahren in seiner Gesamtheit gesehen den in Art. 6 Abs. 1 MRK niedergelegten fair-trial-Grundsätzen gerecht wird, wobei das Verfahren bei der Vernehmung eines anonymen Zeugen besonders an der Spezialvorschrift des Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK gemessen wird.

Wird eine Verurteilung allein oder maßgeblich auf die Erkenntnisse einer VP oder eines VE gestützt, so spielt nach der Rechtsprechung des EGMR eine entscheidende Rolle, ob und wie die Gewährsperson von der Verteidigung befragt werden konnte. Deren Bekundungen müssen hiernach zwar nicht zwingend in der Hauptverhandlung gemacht werden, um als Beweise verwertet werden zu können. Die Verteidigungsrechte sind dann jedoch nur gewahrt, wenn die Verteidigung eine angemessene und geeignete Gelegenheit erhält, die Glaubwürdigkeit der Gewährsperson überhaupt in Frage zu stellen und sie zu befragen, sei es in dem Stadium der Ermittlungen oder zu einem späteren Zeitpunkt des Verfahrens (so schon EGMR StV 1990, 481, 482). War dies nicht möglich, so kann die Beschränkung des Fragerechts der Verteidigung auch nicht adäquat durch eine "zurückhaltende Beweiswürdigung" (siehe die Nachweise oben unter Nr. 1) ausgeglichen werden (EGMR StV 1990, 481, 482). Auch die Vernehmung der polizeilichen Verhörsperson als Zeuge vom Hörensagen in der Hauptverhandlung und die Möglichkeit ihrer Befragung durch die Verteidigung kann danach unzureichend sein (vgl. EGMR StV 1991, 193, 194); denn die VP und VE, die keine persönlichen Aussagen in der Hauptverhandlung machen, sind und bleiben ebenfalls Belastungszeugen im Sinne des Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK (EGMR NJW 1992, 388, 389; BGH NStZ 1993, 292), so daß auch ihnen gegenüber das Fragerecht des Angeklagten garantiert bleibt. Die Behinderung der Verteidigung durch die fehlende Möglichkeit einer Befragung der VP oder VE könnte dann kompensiert sein, wenn die aus dieser Quelle herrührenden Informationen nicht als alleinige oder maßgebliche Urteilsgrundlagen, sondern nur zur Abrundung des sonstigen Beweisergebnisses herangezogen werden (EGMR StV 1990, 481, 483; BGH NStZ 2000, 265).

Mit seinem Urteil in dem Fall van Mechelen (StV 1997, 617; ebenso neuestens EGMR StraFo 2002, 160 - Visser ./. Niederlande -) hat der EGMR die Grenzen noch deutlich enger gezogen. Hier wurden die anonymen Zeugen - es handelte sich um Polizeibeamte - von einem Untersuchungsrichter vernommen, der ihre Identität kannte und sie für glaubwürdig hielt. Die Angeklagten und die Verteidiger waren zwar im Vernehmungsraum nicht anwesend, konnten jedoch in einem anderen Raum durch akustische Übermittlung mithören und von dort aus die Zeugen befragen. Der EGMR hielt selbst diese Verfahrensweise nicht für einen ausreichenden Ausgleich für die Beschränkung der Verteidigung und nahm einen Konventionsverstoß an. Er hat mithin eine Verfahrensweise - unmittelbare Befragung der VE durch einen Richter, akustische Teilnahme an der Befragung durch Angeklagte und Verteidiger - beanstandet, die sogar noch sachnäher ist und die Rechtsstellung der Angeklagten mehr stärkt als die Verwendung von Beweissurrogaten wie die Verlesung von polizeilichen Vernehmungsprotokollen und die Vernehmung polizeilicher Verhörspersonen. Hiernach bliebe, um auf das Wissen des VE nicht ganz zu verzichten, nur eine abgeschirmte Vernehmung möglich, die der Verteidigung eine unmittelbare Konfrontation mit dem Zeugen eröffnet und es ihr damit insbesondere erlaubt, die Reaktion des Zeugen auf direkte Fragen zu beobachten.

III.

Nach alledem bestehen gegen eine audiovisuelle Vernehmung besonders gefährdeter Zeugen unter optischer und akustischer Abschirmung - die selbstverständlich in geringstmöglichem Umfang zu erfolgen hat - nicht nur keine rechtlichen Bedenken. Eine solche Verfahrensweise erscheint im Hinblick auf die Auslegung des Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK durch den EGMR sogar geboten, weil hiernach das Wissen dieser Zeugen nicht wirksam in eine Hauptverhandlung eingebracht werden kann, wenn dem Angeklagten nicht die Möglichkeit einer unmittelbaren Konfrontation mit ihnen eingeräumt wird. Viele andere europäische Staaten wie auch der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag erfüllen bereits diesen Standard (vgl. den rechtsvergleichenden Überblick bei Schlüchter in Festschrift für Hans Joachim Schneider 1998, S. 445, 457ff.).

Angesichts der heutigen technischen Möglichkeiten einer leichten Veränderung von Fernsehaufnahmen entfallen auch Bedenken, die unter dem Gesichtspunkt der Würde der Gerichtsverhandlung gegen die Vernehmung verkleideter, maskierter oder z.B. hinter einer Wand versteckter Zeugen geltend gemacht wurden (vgl. z.B. Bruns MDR 1984, 177, 179). Der Umstand allein, daß das Gesicht des Zeugen auf dem Bildschirm nicht scharf zu sehen ist und seine Stimme etwa wie die aus einem Telefonhörer klingt, beeinträchtigt weder die Würde des Gerichts noch die anderer Verfahrenbeteiligter.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
YAAAC-11440

1Nachschlagewerk: nein