BGH Beschluss v. - 3 StR 263/05

Leitsatz

[1] 1. Für die Anwendung von § 129 a Abs. 2 StGB genügt es, wenn eine der in Nr. 1 bis 5 genannten Taten die erforderliche Bestimmung und Eignung erst im Zusammenhang mit weiteren von der Vereinigung geplanten Taten aufweist.

2. Das Merkmal der Einschüchterung der Bevölkerung in § 129 a Abs. 2 StGB ist auch dann erfüllt, wenn die Tat gegen nennenswerte Teile der Gesamtbevölkerung gerichtet ist.

3. Ein Bundesland ist kein Staat im Sinne des § 129 a Abs. 2 StGB.

4. Gründer im Sinne der §§ 129, 129 a StGB ist nicht nur eine beim Gründungsakt führende Person, sondern jeder, der die Gründung wesentlich fördert (Klarstellung zu BGH NJW 1954, 1254; BGHSt 27, 325, 326).

Gesetze: StGB § 129; StGB § 129 a

Gründe

Der Angeklagte H. hat am die Angeklagten A. , S. , E. und B. sowie die Mitangeklagten Bu. , Be. , P. , W. , R. und V. zu einer Versammlung zusammengerufen, auf der nach seinen Vorschlägen die Vereinigung "Freikorps" gegründet wurde. Ziel der Vereinigung war es, mit Hilfe systematischer und wiederholter Brandanschläge gegen Geschäftsobjekte von Ausländern diese aus der Region ("ausländerfreies Havelland") und letztlich aus Deutschland zu vertreiben. Die Angeklagten A. , S. , E. und B. sowie der Mitangeklagte V. , der keine Revision eingelegt hat, erklärten sich zur Teilnahme an Anschlägen bereit und wirkten in der Folgezeit auch an verschiedenen Taten mit. Sie wurden vom Oberlandesgericht wegen Gründung und Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung (der Angeklagte H. als Rädelsführer), sowie wegen Mitwirkung an den jeweiligen Anschlagstaten zu Jugendstrafen verurteilt. Die Mitangeklagten Bu. , Be. , P. , W. und R. stimmten den Plänen zwar grundsätzlich zu; sie erklärten jedoch, sich selbst nicht unmittelbar an Anschlägen beteiligen zu wollen, sondern lediglich Fahrerdienste zu leisten. Sie wurden vom Oberlandesgericht wegen Gründung einer terroristischen Vereinigung zu Jugendstrafen verurteilt. Über ihr Rechtsmittel wird gesondert entschieden.

Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Rechtsmittelbegründungen der Angeklagten H. , A. , S. , E. und B. hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zu ihrem Nachteil ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:

1. Das Oberlandesgericht hat das von den Angeklagten gegründete "Freikorps" ohne Rechtsfehler als terroristische Vereinigung im Sinne des § 129 a Abs. 2 StGB bewertet.

a) Bei einer solchen Vereinigung handelt es sich um einen auf eine gewisse Dauer angelegten, freiwilligen organisatorischen Zusammenschluss von mindestens drei Personen, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame (terroristische) Zwecke verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen, dass sie sich als einheitlicher Verband fühlen (s. BGHSt 28, 147; 31, 202, 204 f.; 31, 239 f.; 45, 26, 35; BGH NJW 2005, 1668). Es erscheint fraglich, ob an dieser Definition festgehalten werden kann oder ob nicht im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1 Satz 1 des Rahmenbeschlusses des Rates der europäischen Union vom zur Terrorismusbekämpfung (ABl. EG Nr. L 164 S. 3, 4) die Anforderungen an Struktur und Willensbildung solcher Zusammenschlüsse überprüft und herabgesetzt werden müssen (dazu Miebach/Schäfer in MünchKomm § 129 a Rdn. 40 f.; vgl. zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung Tinkl StV 2006, 36, 38). Der Senat neigt zu einer solchen Neubestimmung des Begriffs der terroristischen Vereinigung zumindest für die Zeit nach Inkrafttreten des Gesetzes vom zur Umsetzung dieses Rahmenbeschlusses (BGBl I 2836). Die Frage braucht indes hier nicht abschließend entschieden zu werden. Denn die von den Angeklagten gegründete Vereinigung erfüllt bereits die Anforderungen nach der bisherigen, engeren Rechtsprechung.

b) Das Oberlandesgericht hat auch die weiteren (einschränkenden) Voraussetzungen des § 129 a Abs. 2 StGB zutreffend bejaht.

aa) Bei der Prüfung, ob die geplanten kriminellen Aktivitäten der Vereinigung bestimmt waren, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, und ob sie geeignet waren, den Staat erheblich zu schädigen, hat das Oberlandesgericht zu Recht auf die insgesamt vorgesehenen Straftaten abgestellt. Zwar spricht § 129 a Abs. 2 StGB nach seinem Wortlaut nur von einer Tat, die diese Bestimmung und Eignung haben müsse. Doch ergibt eine Auslegung nach Entstehungsgeschichte und Sinn der Vorschrift, dass es ausreicht, wenn eine Tat im Sinne des § 129 a Abs. 2 StGB die erforderliche Bestimmung und Eignung erst im Zusammenhang mit den weiteren von der Vereinigung geplanten Taten aufweist. Der Neufassung dieser Vorschrift durch das Gesetz vom liegt die erklärte Absicht zugrunde, die Vorgaben des Rahmenbeschlusses auf nationaler Ebene umzusetzen. Art. 1 des Beschlusses knüpft das Erfordernis der Bestimmung (zur Einschüchterung der Bevölkerung) und Eignung (zur ernsthaften Schädigung eines Landes) jedoch unmissverständlich nicht an die einzelne Straftat. Vielmehr haben die Mitgliedsstaaten sicherzustellen, dass die näher bezeichneten Handlungen als terroristische Straftaten eingestuft werden. Diese auf die Gesamtheit aller beabsichtigter Straftaten abstellende Fassung des Bestimmungs-Merkmals ist auch noch in den ursprünglichen Entwurf zur Umsetzung des Beschlusses vom (BTDrucks. 15/813 S. 3) übernommen worden. Erst bei der Umformulierung des Entwurfs im Rechtsausschuss, durch die eine Angleichung an die Terminologie des Strafgesetzbuches erreicht werden sollte, ist daraus ein Singular geworden, ohne dass den Materialien zu entnehmen wäre, dass eine Einschränkung dahin beabsichtigt war, bereits eine einzige dieser Taten müsse für sich allein die erforderliche Bestimmung und Eignung haben (vgl. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses BTDrucks. 15/1730 S. 4, 6, 7).

Im Übrigen entspricht diese Auslegung dem Sinn der Vorschrift. Terroristische Vereinigungen sind, wenn nicht sogar typischerweise, so doch jedenfalls häufig so konzipiert, dass sie nach den Vorstellungen ihrer Gründer und Mitglieder erst durch eine Vielzahl von Straftaten ihre politischen Ziele erreichen ("Nadelstich-Taktik").

bb) Zutreffend hat es das Oberlandesgericht bei der Prüfung der Frage, ob die Brandstiftungstaten bestimmt waren, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, genügen lassen, dass eine solche Einschüchterung bei der ausländischen Bevölkerung und damit bei einem Teil der Gesamtbevölkerung angestrebt war. Zwar wird in der Vorschrift des § 129 a Abs. 2 StGB der Begriff "Bevölkerung" gebraucht, was bei einer Auslegung nur nach dem Wortlaut als Gesamtbevölkerung, etwa im Gegensatz zu § 130 StGB ("Teile der Bevölkerung"), verstanden werden könnte. Doch kann solchen an den Vorstellungen eines einheitlichen Sprachgebrauchs orientierten Überlegungen schon deswegen wenig Gewicht zukommen, weil bei der Neufassung des § 129 a Abs. 2 StGB insoweit lediglich die Formulierung des Rahmenbeschlusses übernommen worden ist. Entscheidend kommt hinzu, dass eine derart enge Auslegung dem Sinn der Vorschrift nicht gerecht werden würde. Denn die gesamte Bevölkerung eines Staates kann ohnehin kaum gemeint sein, da sie auch die Mitglieder der Vereinigung und ihre Sympathisanten umfassen würde, gegen die sich die Einschüchterungsversuche schwerlich richten. Da sich terroristische Aktivitäten zudem sehr häufig gegen Teile der Bevölkerung richten, die ethnisch, religiös, national oder rassisch bestimmt sind, würde bei einer wörtlichen Auslegung ein sehr erheblicher Teil typischer terroristischer Straftaten nicht erfasst werden können. Daher ist eine sinngemäße Auslegung der Vorschrift geboten, wonach es genügt, wenn die Taten der Vereinigung wenigstens nennenswerte Teile der Bevölkerung auf erhebliche Weise einschüchtern sollen (Rudolphi/Stein in SK-StGB § 129 a Rdn. 10; vgl. auch Fischer/Tröndle, StGB 53. Aufl. § 129 a Rdn. 15; aA Miebach/Schäfer in MünchKomm § 129 a Rdn. 66: "wenigstens überwiegender Teil").

cc) Soweit das Oberlandesgericht weiter dargelegt hat, die Taten seien bestimmt gewesen, den öffentlichen Frieden zu stören, zu dem das gewaltfreie und friedliche Zusammenleben der Bevölkerungsgruppen gehöre (UA S. 140), bleibt unklar, welches Tatbestandsmerkmal damit angesprochen ist. In Betracht käme die Tatbestandsvariante des § 129 a Abs. 2 StGB "bestimmt, die verfassungsrechtlichen Grundstrukturen eines Staates zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen" (vgl. zum Begriff der Untergrabung von Verfassungsgrundsätzen in § 120 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b GVG, zu denen der Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft gegenüber Minderheiten gehört, BGHSt 46, 238, 251). Ob dieser Tatbestandsalternative neben derjenigen der Einschüchterung der Bevölkerung hier eine selbständige Bedeutung zukäme, bedarf keiner Entscheidung, weil bereits durch letztere der Tatbestand erfüllt ist.

dd) Schließlich ist dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe in ausreichender Weise zu entnehmen, dass die Taten geeignet waren, durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat, die Bundesrepublik Deutschland, erheblich zu schädigen.

Das Oberlandesgericht hat bei der rechtlichen Würdigung diese Eignung im Hinblick sowohl auf das Bundesland Brandenburg als auch auf die Bundesrepublik Deutschland bejaht, diese Annahme jedoch nur für das Bundesland Brandenburg näher begründet. Auf dessen Schädigung kommt es indes bei § 129 a Abs. 2 StGB nicht an. Denn diese Vorschrift nennt als Schutzobjekt nur Staaten oder internationale Organisationen. Dabei ergibt sich aus der Gegenüberstellung dieser beiden Begriffe und der Entstehungsgeschichte der Vorschrift, dass mit Staat nur Staatsgebilde auf der Ebene der Vertragsstaaten, die den EU-Rahmenbeschluss gefasst hatten, nicht aber Gliedstaaten eines Bundesstaates gemeint sind. Daher muss auch auf die Verfahrensrügen nicht mehr eingegangen werden, mit denen die fehlende Einführung einer Verlautbarung des Landes Brandenburg in die Hauptverhandlung beanstandet wird.

An der Eignung zur Schädigung der Bundesrepublik Deutschland kann nach den getroffenen Feststellungen aber kein Zweifel bestehen, auch wenn sie im angefochtenen Urteil bei der rechtlichen Würdigung nicht näher begründet wird. Denn danach plante das "Freikorps" so lange systematische und gegebenenfalls wiederholte Brandanschläge gegen Objekte von Ausländern zu begehen, bis diesen ihre Existenzgrundlage entzogen und infolge der damit verbundenen Verunsicherung alle Ausländer "zunächst aus N. , später aus dem Havelland und weiteren Gebieten Deutschlands" vertrieben sind (UA S. 29). Dies hätte nicht nur einschneidende Auswirkungen auf die Gesellschaft und das wirtschaftliche Leben. Es hätte vielmehr eine nachhaltige und tief greifende Schädigung der inneren Sicherheit zur Folge, wenn ausländische Mitbürger allein wegen ihrer Herkunft massiv verfolgt werden und sich nicht mehr sicher und geschützt fühlen können. Es kommt hinzu, dass sich diese Taten in den Zusammenhang einer Vielzahl ähnlicher ausländerfeindlicher Straftaten aus rechtsextremer Gesinnung im gesamten Bundesgebiet einreihen, was ihre schädliche Wirkung zusätzlich erhöht.

Für die Eignung zur Schädigung kommt es nach der Fassung des § 129 a Abs. 2 StGB auf den Zeitpunkt der Gründung der Vereinigung und ihrer Ausrichtung auf bestimmte Straftaten an. Unerheblich ist dagegen, ob bei einer rückblickenden Betrachtung nach der Auflösung der Vereinigung, die hier durch einen polizeilichen Zugriff bewirkt worden ist, tatsächlich ein solcher Schaden eingetreten ist. Die darauf gerichteten Einwendungen in den Revisionsbegründungen gehen somit ins Leere.

2. Die Angeklagten H. , A. , S. , E. und B. sind weiterhin zu Recht als Gründer einer kriminellen Vereinigung verurteilt worden.

a) Gründer im Sinne der §§ 129, 129 a StGB sind nur solche Personen, die den Gründungsakt "führend und richtungsweisend" bewirken (, in einem redaktionellen Leitsatz in NJW 1954, 1254 abgedruckt und in BGHSt 27, 325, 326 wiedergegeben). Gegen diese - möglicherweise missverständliche - Definition wird der Einwand erhoben, bei einer so engen Auslegung könnten die Strafmilderungsvorschriften der § 129 Abs. 5, § 129 a Abs. 6 StGB bei Tätigkeiten von untergeordneter Bedeutung keine Funktion erlangen (vgl. Rudolphi/Stein in SK-StGB § 129 Rdn. 14; Fischer/Tröndle, StGB 53. Aufl. § 129 Rdn. 23). Dies gibt Anlass zur Klarstellung, dass nicht nur die Gründungsaktivitäten führender Personen erfasst werden sollten; vielmehr wird nur eine wesentliche Förderung der Gründung verlangt, also ein für das Zustandekommen der Vereinigung weiterführender und richtungsweisender Beitrag (vgl. auch Bubnoff in LK 11. Aufl. § 129 Rdn. 43). Dies ergibt sich aus den weiteren Ausführungen in dem insoweit nicht veröffentlichten Beschluss vom . So verstanden kann ein Tatbeitrag durchaus eine weiterführende Wirkung für die Gründung entfalten, auch wenn er im Verhältnis zu den Beiträgen anderer Gründer von lediglich untergeordneter Bedeutung ist.

b) Dass der Angeklagte H. Gründer der Vereinigung als Rädelsführer war, steht außer Frage. Einen wesentlichen Beitrag zur Gründung haben aber auch die Angeklagten A. , S. , E. und B. erbracht. Denn letztere haben bei der Gründungsversammlung den Plänen H. s nicht nur zugestimmt, sondern insbesondere durch ihre Bereiterklärung, Brandanschläge durchzuführen, erheblich zum Zustandekommen der Vereinigung beigetragen, zumal andere Anwesende, nämlich Bu. , Be. , P. , W. und R. , sich weigerten, selbst Brände zu legen.

3. Der Strafausspruch ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Dabei kann offen bleiben, ob die Annahme schädlicher Neigungen bei allen Angeklagten gerechtfertigt war. Diese erscheint insbesondere bei solchen Angeklagten fraglich, die nur an einem Anschlag beteiligt waren und sich aus eigenem Antrieb frühzeitig von den kriminellen Aktivitäten zurückgezogen hatten (vgl. zu den Anforderungen an die Feststellung von erheblichen Persönlichkeitsmängeln BGHR JGG § 17 Abs. 2 schädliche Neigungen 5, 7, 9). Zudem durfte angesichts des Umstandes, dass die Angeklagten A. , S. , E. und B. nach der Zerschlagung der Gruppe eine sehr günstige Entwicklung genommen haben, die bei ihnen zur Bejahung einer positiven Sozialprognose und Strafaussetzung zur Bewährung geführt hat, das Vorliegen schädlicher Neigungen noch im Urteilszeitpunkt nicht ohne nähere, mit Tatsachen untermauerte Begründung allein aus der Tatbegehung abgeleitet werden. Dies wirkt sich jedoch im Ergebnis auf den Strafausspruch nicht aus, da die vergleichsweise mäßigen Jugendstrafen allein wegen der Schwere der Schuld gerechtfertigt sind.

Fundstelle(n):
NJW 2006 S. 1603 Nr. 22
TAAAB-95457

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